Metro2033
fünf Stunden aus, und dann geht's los. Artjom, was hältst du davon? Haun wir uns auf's Ohr?«
Artjom zog seinen Partner beiseite. »Ich kann nicht. Ich muss unbedingt zuerst zur WDNCh. Abschied nehmen, und überhaupt sehen, wie die Lage ist. Du hattest recht: Sie wollen alle Tunnel vom Prospekt Mira ab sprengen. Selbst wenn wir lebend von oben wiederkommen, werde ich meine Station nie wiedersehen. Ich muss da einfach hin.«
»Hör mal, wenn du nur Angst hast, nach oben zu gehen, weil da die Schwarzen sind ...«, begann Ulman, doch als er Artjoms Blick sah, hielt er inne. »War nur ein Witz. Entschuldige.«
»Wirklich, es muss sein.« Artjom hätte dieses Gefühl nicht erklären können, doch wusste er genau, dass er zur WDNCh gehen würde - um jeden Preis.
»Na schön, was sein muss, muss sein«, murmelte der Kämpfer verwirrt. »Zurück schaffst du es aber nicht mehr, vor allem, wenn du dich noch verabschieden willst. Dann machen wir es so: Ich und Paschka - das ist der mit den Taschen - wollten direkt zum Turm fahren, aber wir können einen Umweg machen und beim alten Eingang der WDNCh vorbeifahren. Von dem neuen sind ja nur noch Trümmer übrig, das wissen die bei euch sicher. Dort warten wir auf dich. In fünf Stunden und fünfzig Minuten. Wer zu spät kommt, hat Pech gehabt. Den Anzug hast du dabei? Und hast du eine Uhr? Hier, nimm meine« - er löste sein Metallarmband - »ich nehm einstweilen die von Paschka.«
»In fünf Stunden und fünfzig Minuten.« Artjom nickte, drückte Ulman die Hand und rannte zum Kontrollposten. Als ihn der Grenzer erneut erblickte, schüttelte er den Kopf. Da erinnerte sich Artjom an etwas. »Passieren in diesem Tunnel immer noch so seltsame Dinge?«, fragte er.
»Meinst du das mit den Rohren? Die haben sie geflickt. Jetzt dreht sich einem nur ein bisschen der Kopf, wenn man vorbeigeht, sagen sie, aber wenigstens stirbt niemand mehr unterwegs.«
Artjom dankte mit einem Nicken, schaltete die Taschenlampe ein und betrat den Tunnel.
In den ersten zehn Minuten dachte er an alle möglichen Dinge auf einmal: an die Gefahren, die vor ihm im Tunnel lauerten, an das wohlorganisierte, vernünftige Leben an der Belorusskaja, an die Sammeltaxis und die echten Züge. Doch nach und nach sog die Dunkelheit des Tunnels diese überflüssigen, eilig aufblitzenden Bilder auf. Zuerst traten Ruhe und Leere ein, und dann musste er an etwas ganz anderes denken ...
Seine Reise kam an ein Ende. Artjom hätte nicht sagen können, wie lange er fort gewesen war. Vielleicht waren zwei Wochen vergangen, vielleicht auch mehr als ein Monat.
Wie einfach, wie kurz war ihm der Weg erschienen, als er, an der Alexejewskaja sitzend, im Licht der Taschenlampe seinen alten Metroplan betrachtet und versucht hatte, den Weg zur Polis einzuzeichnen. Damals war vor ihm eine Welt gelegen, von der er absolut nichts wusste, und deshalb hatte er einfach die kürzeste Route gewählt, ohne groß darüber nachzudenken. Das Leben aber hatte ihn auf eine ganz andere Bahn geschickt, eine verschlungene, schwere, lebensgefährliche Bahn, die jenen Menschen, die für kurze Zeit seine zufälligen Begleiter gewesen waren, oft das Leben gekostet hatte.
Er musste an Oleg denken. Jeder hat seine Bestimmung, hatte Sergej Andrejewitsch an der Poljanka zu ihm gesagt. War es möglich, dass die Bestimmung dieses kurzen Kinderlebens ein furchtbarer Tod zur Rettung anderer Menschen gewesen war? Damit diese ihre Sache fortsetzen konnten?
Artjom fühlte sich kalt und elend. Wenn er diese Annahme akzeptierte, so nahm er auch dieses Opfer an. Dann musste er daran glauben, dass er auserwählt war, dass es ihm erlaubt war, seinen Weg weiterzugehen, auch wenn andere dabei ihr Leben ließen oder leiden mussten. Aber bedeutete das, dass er das Schicksal anderer mit Füßen treten, ja zerstören durfte - nur um die eigene Bestimmung zu erfüllen?
Oleg war noch viel zu klein gewesen, um sich die Frage zu stellen, warum er auf der Welt war. Doch wenn er darüber hätte nachdenken müssen, hätte er einem solchen Schicksal wohl kaum zugestimmt. Sicher hätte der Junge lieber eine bewusste und bedeutendere Rolle in dieser Welt gespielt. Und wenn er schon sein eigenes Leben hätte opfern müssen, um fremde Leben zu retten, so hätte er dieses Kreuz eben nur bewusst und freiwillig auf sich genommen.
Artjom sah Michail Porfirjewitsch, Danila und Tretjak vor sich. Wofür waren sie gestorben? Warum hatte er überlebt? Wer hatte ihm die Möglichkeit, das
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