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Meuterei auf der Deutschland

Meuterei auf der Deutschland

Titel: Meuterei auf der Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klecha Walter Hensel
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Ähnlich lagen die Dinge in Niedersachsen, wo in der Zwischenzeit die Aufstellungsversammlung erfolgreich angefochten wurde. Weil es kein geeignetes bzw. verbindliches Verfahren der vorherigen Kommunikation und Präsentation gibt, das über die Präsenz im Wiki der Partei hinausreicht, drohen die obligatorische Vorstellung und Befragung der Bewerber (das sogenannte »Kandidatengrillen«) jeden Zeitrahmen zu sprengen und Parteitage und Listenaufstellungen insgesamt lahmzulegen. In Nordrhein-Westfalen war es nur durch den Einsatz persönlicher Autorität (etwa den Appell der hochgeschätzten politischen Geschäftsführerin Marina Weisband) sowie einen Geschäftsordnungstrick des Landesvorstands möglich, das Verfahren rechtzeitig über die Bühne zu bringen. Nichtsdestotrotz erstreckte sich die Prozedur in beiden Ländern von Sonnabend früh bis zum späten Sonntagabend.
    Zu guter Letzt treiben auch die politische Konkurrenz und die Medien die Piratenpartei zunehmend in die Enge, wenngleich die Vielzahl kritischer Berichte über rechtsextreme und sexistische Tendenzen, über programmatische Planlosigkeit und personelle Skandale der Beliebtheit der Piraten bislang keinen größeren Schaden zugefügt hat. Deutlich schwieriger zu meistern sind die aktuellen Angriffe von Autoren und Verlagen, die die Partei für ihre Haltung zum Urheberrecht attackieren. Hier sehen sich die Piraten plötzlich einer hegemonialen Interpretationselite gegenüber, deren Deutungshoheit an der Kernkompetenz der Partei rüttelt.
3.1 Wie funktioniert Führung bei den Piraten?
    Trotz all dieser Herausforderungen sind die Piraten jedoch (zumindest vorerst) in den inneren Bereich des parlamentarischen Systems vorgerückt. Und wie bei anderen Parteien auch, fällt der Blick der Beobachter dabei zunächst auf die Führungsschicht, weil die Delegation von Interessen auf der Grundlage von Vertrauensvorschüssen nun einmal ein wesentliches Merkmal der repräsentativen Demokratie darstellt. Vorstände von Parteien fungieren für die Dauer ihrer Amtszeit als Sachwalter der Basis; missbrauchen sie das gewährte Vertrauen, können sie abberufen werden. In der Regel gelangen die führenden Repräsentanten einer Partei zu einer gewissen öffentlichen Prominenz.
    Bei den Piraten war das ein wenig anders. Allenfalls sporadisch nahm man den 2011 abgetretenen Bundesvorsitzenden Jens Seipenbusch wahr. Bis zur Berlin-Wahl erschien die Partei insgesamt als amorphe, gesichtslose Masse. Danach galt kurzzeitig der Berliner Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner als Prototyp des Piraten. Mit Kopftuch, leuchtend bunten Latzhosen und schnodderig rustikalen Ansagen bestritt er eine Reihe von Talkshowauftritten. Doch der Hype legte sich bald, nachdem der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum, Sebastian Nerz, der Vorsitzende der Bundespartei, und die politische Geschäftsführerin Marina Weisband vor die Bundespressekonferenz getreten waren.
    Insbesondere Weisband avancierte mit ihrer etwas altklugen, dabei aber eloquenten Art und den stets druckreifen Formulierungen in der Öffentlichkeit zur Ikone der Partei, zumal die 1987 geborene Psychologiestudentin als eine der wenigen Piratinnen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog. Vor Anfragen für Interviews und Talkshowbesuche konnte sie sich bald kaum noch retten. Sie geriet dabei an die Grenzen ihrer physischen Belastbarkeit und entschied sich schließlich, auf eine weitere Amtszeit zu verzichten.
    Nachdem die Medien allmählich einen Überblick über das Führungspersonal der Partei bekommen hatten, konzentrierten sie ihr Interesse vor allem auf den Bundesvorstand. Allerdings spielt dieser bei den Piraten eine deutlich andere Rolle als bei der politischen Konkurrenz. Eine formale Hierarchie und eine mit exklusiven Ressourcen ausgestattete Führungsriege soll es wegen des aus der Internetkultur übernommenen Prinzips der strukturellen Offenheit ja dezidiert nicht geben. Das Parteiengesetz und die Notwendigkeit einer gewissen Effizienz zwingen die Piraten zwar zur Wahl von Vorständen auf allen Organisationsebenen, diese sollen allerdings in erster Linie administrative Aufgaben übernehmen. Die Basis reagiert daher meist empfindlich, wenn Vorstände versuchen, Macht anzuhäufen oder sich öffentlich zu profilieren. Polarisierende Persönlichkeiten und Kandidaten mit überbordendem Idealismus oder dezidierten programmatischen Vorstellungen haben daher nur geringe Chancen.
    Das mittlerweile berühmt-berüchtigte

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