Meuterei auf der Deutschland
alle mitmachen können . Ob das dann am Ende zehn oder fünfzig Prozent der Mitglieder sind und wie diese sich hinsichtlich ihres sozialstrukturellen oder regionalen Hintergrunds zusammensetzen, ist aus dieser Perspektive nachrangig, solange das Ergebnis befriedigend ausfällt. Das Fehlen einfacher und verbindlicher Entscheidungswege führt allerdings dazu, dass die Partei in erster Linie die Partizipation ihrer Basis gewährleistet, anstatt eine wirkliche Basisdemokratie zu praktizieren.
Angesichts der mangelnden Effizienz der Parteitage und der unübersichtlichen Situation im Netz drängen nun vor allem Angehörige des Berliner Landesverbands darauf, die Plattform LiquidFeedback zu einer ständigen virtuellen Mitgliederversammlung mit Satzungsrang aufzuwerten und dadurch ein zentrales Forum für die Onlinekommunikation zu etablieren. Im Gegensatz zu denübrigen Foren und Mailinglisten dürfen dort grundsätzlich nur Mitglieder mitwirken, wobei die Piraten gelegentlich kaum hinterherkommen, Zugänge für Neumitglieder einzurichten oder Ausgetretenen die Zugangsrechte zu entziehen, woran sich ein Teil der Kritik an dem System entzündet.
LiquidFeedback ist dazu gedacht, Anträge vorzustellen, darüber zu diskutieren, Änderungen aufzunehmen oder Meinungsbilder zu bestimmten Fragen zu erheben. Die Besonderheit besteht darin, dass die Mitglieder nicht permanent auf der Seite aktiv sein müssen, sondern dass sie ihr Stimmrecht in Bezug auf einzelne Themen oder aber ganz allgemein auf andere Piraten übertragen können, wobei diese Delegation jederzeit zurückgenommen werden kann (Paetau 2010).
Bislang beteiligen sich aber deutlich weniger Piraten via LiquidFeedback als ursprünglich erhofft; im Frühjahr 2012 waren bloß 5400 der 22 000 Mitglieder registriert. Verglichen mit konventionellen Beteiligungsformen ist diese Quote zwar recht beachtlich, dennoch nehmen zwei Drittel der Mitglieder diese Möglichkeit grundsätzlich nicht wahr. Wie selten selbst registrierte Piraten das Tool nutzen, zeigt sich daran, dass (delegierte Stimmen eingeschlossen) in der Regel nur 400 bis 700 Stimmen pro Voting abgegeben werden.
Das Delegationssystem wiederum ist unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten zwar interessant, aber nicht ganz unproblematisch. Dem schon vor 100 Jahren von Robert Michels formulierten »ehernen Gesetz der Oligarchie«, wonach sich in Großorganisationen wie Parteien zwangsläufig eine professionelle Führung herausbildet, scheinen sich auch die Piraten auf diesem Weg nicht entziehen zu können. Tatsächlich wurden bei der Partei trotz ihres noch sehr jungen Organisationsalters bereits erste Ansätze einer Elitenbildung diagnostiziert (Neumann 2011, S. 58).
Dazu kommt ein weiterer Punkt: In Parteien mit einem klassischen Organisationsmodell delegieren Mitglieder ihre Stimmen an eine identifizierbare Person, die dann einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen vornehmen kann. Bei LiquidFeedback hat ein Pirat jedoch die Möglichkeit, seine Stimme in finanzpolitischen Fragen einem vehementen Vertreter von Steuersenkungen zu übertragen, in sozialpolitischen Angelegenheiten hingegen einem Befürworter skandinavischer Wohlfahrtsmodelle. Dass dies nicht wirklich zusammenpasst, leuchtet unmittelbar ein, muss dem Mitglied, das in einer Einzelfrage seine Stimme delegiert, allerdings keineswegs klar sein. Es ist zweifellos eine elementare Stärke der repräsentativen Demokratie, dass ein Repräsentant gegenüber denjenigen verantwortlich ist, die ihn delegiert haben. Die Verantwortung erstreckt sich sowohl auf die Sachentscheidung selbst als auch auf den Aushandlungsprozess. Beides entfällt in der plebiszitären Demokratie, und bei LiquidFeedback ist diese Form der Verantwortlichkeit ebenfalls nicht gegeben.
Noch problematischer wird das Ganze dadurch, dass auf der Plattform LiquidFeedback nicht mit Klarnamen, sondern unter Pseudonym kommuniziert werden kann. Man weiß also nie, ob eine reale Person nur mit einem oder aber mit mehreren Pseudonymen unterwegs ist, so dass sich nicht zweifelsfrei nachvollziehen lässt, welche Positionen ein bestimmter User zu einzelnen Sachfragen einnimmt. Im Vergleich zu herkömmlichen Modellen der Delegation werden dadurch überdies Verantwortlichkeiten verwischt, da der Pirat, der die Stimmrechte anderer Mitglieder wahrnimmt, sich vor diesen später nicht öffentlich rechtfertigen muss. Würden allerdings Klarnamen verwendet, könnte man lückenlos dokumentieren, wer
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