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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Riemen handhaben können.«
    »Gehen Sie doch auch mit«, sagte Fräulein West zu mir. »Dann haben Sie einmal Gelegenheit, die Elsinore unter vollen Segeln zu sehen.«
    Pike nickte mir sein Einverständnis zu, und so ging ich mit ins Boot, wo ich mich auf die Achterducht neben den Mann setzte, der das Ruder nahm, während ein halbes Dutzend Hände uns zu dem Selbstmörder pullten, der so wunderbar auf der Oberfläche der See stand. Der Malteser-Londoner führte den Schlagriemen. Unter den andern Seeleuten befand sich einer, dessen Name ich wenige Tage zuvor erfahren hatte – Ditman Olansen, ein Norweger. Ein guter Seemann, der aber, wie Mellaire mir gesagt hatte, ganz plötzlich ohne ersichtlichen Grund in wahnsinnige Wut geraten konnte. Ditman Olansen war der reine Berserker. Als ich ihn aber mit seinen hellblauen Augen dasitzen und in stetigem Takt pullen sah, schien er mir der letzte Mensch auf Erden zu sein, der zu Berserkerwut neigte.
    Als wir uns dem Griechen näherten, begann er uns drohend anzubrüllen und sein großes Scheidemesser zu schwingen. Unter seinem Gewicht sank die Leiter immer tiefer, bis das Wasser seine Knie umspülte, und so balancierte er nun, während er wilde Grimassen schnitt und mit den Armen fuchtelte. Sein Gesicht, verzerrt wie eine Affenfratze, bot keinen angenehmen Anblick. Und als er nicht aufhören wollte, mit seinem Messer herumzufuchteln, dachte ich, wie es wohl überhaupt gelingen sollte, den Mann heil an Bord zu bekommen.
    Aber die Sorge hätte ich ruhig Pike überlassen können. Er nahm den Fußstock, der unter den Füßen des Malteser-Londoner lag, und legte ihn auf die Achterducht, so daß er ihn zur Hand hatte. Pike wich dem drohenden Messer geschickt aus, wartete ruhig ab, bis eine Welle den Spiegel des Bootes hob und der Grieche in das Wellental sank. Jetzt war der Augenblick gekommen, und wieder hatte ich Gelegenheit, die Körpergewandtheit dieses alten Mannes zu bewundern. Er paßte die Zeit genau ab und ließ den Fußstock blitzschnell und mit gewaltiger Kraft auf den Kopf des Griechen sausen. Dem fiel das Messer“ aus der Hand, während der arme Kerl selbst bewußtlos zusammenbrach und ins Wasser fiel. Offenbar ohne die geringste Mühe holte Pike ihn dann aus dem Wasser und warf ihn in das Boot. Es war ein tüchtiger Hieb, den er dem Griechen mit dem Fußstock versetzt hatte. In dünnen Bächen rieselte das Blut durch das feuchte Haar.
    Im nächsten Augenblick holten die Matrosen weit aus, und Pike steuerte das Boot zur Elsinore zurück. Da hob ich zufällig den Kopf, und das wundervolle Bild, das die Elsinore darbot, überwältigte mich. In der langen Zeit, die ich schon an Bord war, hatte ich ganz vergessen, daß sie außen weiß gestrichen war. So tief lag sie im Wasser, so anmutig und schlank war ihr Rumpf, daß die hohen Spieren und Masten, die bis in die Wolken zu ragen schienen, die gewaltigen Flächen ihrer Segel mir fast übertrieben und unmöglich, ja wie eine Herausforderung des Gesetzes der Schwere erschienen.
    Wie ein Wunder erschien es mir, daß Menschen einen so prachtvollen Mechanismus erfunden und konstruiert hatten, der den gewaltigen Elementen Trotz zu bieten wagte.
    Als wir das Boot hochheißten, sah ich, daß Fräulein West nach unten gegangen war. Im Kartenhaus stand Kapitän West und zog die Chronometer auf. Mellaire war schon hineingetörnt, um noch ein paar Stunden zu schlafen, bevor er seine Wache um zwölf Uhr übernahm – ich habe übrigens vergessen mitzuteilen, daß Mellaire nicht achtern schläft. Er teilte eine Kabine im Mittschiffshaus mit Nancy, dem Bootsmann Pikes.
    Keiner an Bord bezeigte Mitgefühl für den unglücklichen Griechen. Er wurde wie ein Aas auf das Großluk geworfen. Dort konnte er liegenbleiben, bis er es für gut befand, wieder zum Bewußtsein zu kommen. Ach ja… ich gestehe es offen und ehrlich – so abgehärtet bin ich jetzt auch, daß ich weder Mitleid noch Sympathie für ihn empfand. Meine Augen waren zudem immer noch von der Schönheit der Elsinore erfüllt. Man wird hart auf See.

    Schon viele Tage sind wir im Nordostpassat, und eine Meile nach der anderen rollt sich mechanisch hinter uns ab. Gestern waren wir, laut Log und Observation, zweihundertzweiundfünfzig Meilen gelaufen, vorgestern zweihundertvierzig und am Tage vorher zweihundertsechzig. Aber man merkt gar nicht, wie stark der Wind eigentlich ist. Es ist herrlich, ihm seine Lungen und seine Poren zu öffnen. Nachts, wenn die ganze Kajüte schläft,

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