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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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langsam und natürlich sinken, aber ihr Blick wich nicht vom Gesicht ihres Vaters.
    Aber ich hatte es doch gesehen, ja, ich sah noch mehr: Ich sah, wie Kapitän Wests Gesicht durchsichtig bleich wurde, wie seine Augenlider sich langsam schlossen und seine Lippen flüsterten, ohne einen Laut von sich zu geben. Dann öffneten sich die Augen wieder, seine Lippen gewannen die gewohnte Selbstbeherrschung wieder, langsam kehrte die Farbe in seine Wangen zurück.
    Und doch war das derselbe Kapitän West, der sieben Stunden später die hochmütige Seemannsseele des Steuermanns züchtigte. Es war am selben Abend; es war sehr dunkel, die Mannschaft stand auf dem großen Deck und halte aus. Ich kam eben aus dem Kartenhaus und sah Kapitän West mit den Händen in den Taschen an mir vorbeigehen. Er ging bis zur Kampanje. Plötzlich hörte man vom Besanmast den scharfen Ton von reißendem Tauwerk und das Krachen von zerbrechendem Holz. Im selben Augenblick fielen die Matrosen rücklings auf das Deck und kollerten herum.
    Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann hörte ich die Stimme Kapitän Wests: »Was war denn das, Steuermann?«
    »Das Fall, Käpt’n«, kam eine Antwort aus dem Dunkel.
    Abermals herrschte einen Augenblick allgemeines Schweigen. Dann hörte ich wieder die Stimme Kapitän Wests: »Ein andermal fieren Sie zuerst Ihre Schot!«
    Nun ist Pike zweifellos ein glänzender Seemann, aber in diesem »Fall« hatte er tatsächlich einen Fehler gemacht. Ich kann mir vorstellen, welchen Schlag diese Rüge für seinen Stolz bedeutete, um so mehr, als er durchaus keinen guten Charakter hat, sondern rachsüchtig ist, und wenn er auch mit dem gebotenen Respekt »Jawohl, Käpt’n«, antwortete, so war ich doch überzeugt, daß die armen Teufel, die ihm unterstellt sind, im Laufe der Nacht seinen Zorn zu fühlen bekamen.
    Es kam auch, wie ich erwartet hatte – denn heute morgen bemerkte ich, daß John Hackey, ein Friscoer Strolch, ein blaues Auge hatte, und daß Guido Bombini mit einem geschwollenen Kinn herumlief, das nicht von schlechten Eltern war. Ich fragte Wada, er lieferte mir prompt die neuesten Nachrichten. Es hatte eine gehörige Tracht Hiebe auf der Back gesetzt, während wir achtern in unseren Betten schlummerten. Auch heute noch geht Pike mürrisch und verärgert herum. Er schnauzt die Männer noch mehr an als sonst und ist nur eben höflich gegen Fräulein West und mich. Er grunzt seine einsilbigen Antworten in den Bart, während sein Gesicht das Urbild von Ärger ausdrückt. Fräulein West, die von der Geschichte gestern nichts weiß, lacht und sagt, er sei »seesauer«, eine Erscheinung, die sie so getauft hat.
    Aber ich kenne Pike, diesen prächtigen, eigensinnigen alten Seebären, jetzt gründlich. Es wird genau drei Tage dauern, ehe er wieder der alte ist. Er ist nämlich sehr stolz auf seine seemännische Tüchtigkeit, am meisten an der ganzen Geschichte kränkt ihn das Bewußtsein, einen Bock geschossen zu haben.

    Heute, genau achtundzwanzig Tage nach unserer Abfahrt, passierten wir in früher Morgenstunde die Linie. Ich trank gerade meinen Kaffee, als es geschah. Und Charles Davis feierte die Begebenheit, indem er O’Sullivan ermordete. Bonny, ein langaufgeschossener dünner Bengel von Mellaires Wache, brachte uns die Nachricht. Der Untersteuermann und ich hatten eben den Lazarettraum betreten, als Pike selbst kam.
    O’Sullivans Sorgen sind jetzt überstanden. Der andere in der Oberkoje hat sein trauriges Irrendasein mit dem Maripfriem zu einem würdigen Abschluß gebracht.
    Ich begreife diesen Charles Davis nicht! Er saß seelenruhig in seiner Koje und rauchte ebenso ruhig seine Pfeife, während er Mellaire seine Antworten gab. Und dabei ist er durchaus nicht verrückt. Mit voller Überlegung und kalten Blutes hat er den Wehrlosen ermordet.
    »Warum hast du es getan?« fragte Herr Mellaire.
    »Weil… weil, Steuermann«, sagte Davis und paffte weiter, »weil…«, paff, paff… »weil er meinen Schlaf störte. Weil…«, paff, paff… »weil er mich reizte. Nächstes Mal«… paff, paff… »werden gewisse Herren, hoffe ich, vorsichtiger sein, wenn sie jemand zu mir hereinstecken. Es tut mir weh, wenn ich hier heraufklettern muß…«, paff, paff… »und jetzt kriege ich wieder die Unterkoje.«
    »Aber warum hast du es getan?« fauchte Pike.
    »Ich sage es Ihnen ja, Steuermann, weil er mich reizte. Ich hatte genug davon, und da befreite ich ihn heut morgen von seinem Elend. Der Mann ist verreckt. Da ist

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