Meuterei auf der Elsinore
nichts zu machen. Es war die Notwehr. Ich kenne das Gesetz. Mit welchem Recht haben Sie einen Verrückten zu einem hilflosen Kranken gelegt?«
»Bei Gott, Davis«, rief der Steuermann, »du wirst nie deinen Abmusterungstag in Seattle erleben. Du wirst schon deinen Lohn kriegen. Einen harmlosen Verrückten zu ermorden! Du wirst ihm über Bord folgen, Freundchen.«
»Wenn das geschieht, werden Sie aufgehängt, Steuermann«, antwortete Davis. Er richtete seine kalten Augen auf mich und rief: »Und Sie, Herr, ruf ich zum Zeugen an! Sie hören, daß er mich bedroht! Sie werden vor Gericht beeiden, daß der Steuermann mein Leben bedroht hat. Er soll aufgeknüpft werden, und das von Rechts wegen.«
»Halt deine dreckige Fresse, oder ich schlage sie dir zu Brei, du verfluchter Bengel!« brüllte Pike und sprang mit geballter Faust auf ihn los.
Davis wich unwillkürlich zurück. Sein Fleisch war schwach, aber seine Seele nicht. Bald hatte er sich wieder in der Gewalt und zündete sich ruhig ein Streichholz an.
»Mir machen Sie keine Angst, Steuermann«, knurrte er. »Ich habe keine Angst, zu verrecken. Früher oder später muß der Mensch ja doch dran glauben. Und im übrigen werde ich jetzt nicht sterben, ich werde diese Reise zu Ende machen und die Reeder vor Gericht laden.«
Tatsächlich kämpften in mir zwei Empfindungen miteinander – eine gewisse Bewunderung für diesen Matrosen, der krank und doch so mutig war, und die Sympathie für Pike, der sich so beleidigen lassen mußte, ohne es über sich zu bringen, den Kranken zu schlagen.
Dennoch sprang er in kalter Wut auf den Mann los, packte ihn mit seinen knochigen Händen am Hals und schüttelte ihn eine ganze Minute lang. Es war ein Wunder, daß er dem Mann nicht einfach das Genick brach.
»Ich lade Sie als Zeuge vor«, wandte Davis sich keuchend an mich, sobald der Steuermann ihn wieder losgelassen hatte.
Er röchelte und räusperte sich, befühlte seine Kehle und drehte den Kopf, um zu zeigen, wie schlimm er behandelt worden war.
»Die Spuren von den Fingern werden schon in ein paar Minuten zu sehen sein«, murmelte er mit hörbarer Zufriedenheit, sobald er wieder zu Atem kam.
Das war zuviel für Pike. Er machte kehrt und verließ fluchend den Raum. Als ich mich einige Minuten später ebenfalls entfernte, stopfte Davis sich wieder seine Pfeife. Dabei erzählte er Mellaire, daß er auch ihn als Zeugen vorladen wolle.
Auf diese Weise bekamen wir unser zweites Begräbnis an Bord. Pike ärgerte sich, weil die Elsinore so schnell lief, daß man keine ordentliche Zeremonie vornehmen konnte. Unter diesen Umständen verlor man nur wenige Minuten, indem man das große Marssegel der Elsinore brackbraßte, um ihr Fahrt zu nehmen, während man O’Sullivan mit dem unvermeidlichen Sack Kohlen an den Füßen über Bord schob.
»Ach, das ist ja alles nur Kinderspiel«, meinte Mellaire gemütlich, als wir während der ersten Wache die Kampanje auf und ab gingen. »Ich machte mal eine Fahrt mit einem Lastdampfer, der vierhundert Chinesen an Bord hatte, Kulis, die nach Beendigung ihrer Vertragszeit heimkehrten. Da brach die Cholera aus. Wir warfen dreihundert von ihnen über Bord, Herr, dazu die beiden Bootsmänner, den größten Teil der Laskaren, die unsere Mannschaft bildeten, den Steuermann, den dritten Steuermann, den ersten und dritten Meister und schließlich den Kapitän selbst. Der zweite Meister und der weiße Heizer waren die einzigen, die unten übrigblieben, ich selbst führte das Kommando an Deck, bis wir den Hafen erreichten. Die Ärzte wollten gar nicht an Bord kommen – sie ließen uns auf der Außenreede ankern und befahlen mir, unsere Toten über Bord zu werfen. Ich mußte selbst die Leichen einwickeln und mit der Donkeymaschine an Deck heißen. Nach jeder Leiche, die ich über Bord warf, nahm ich einen Schnaps. Als ich mit der Arbeit fertig war, hatte ich einen tüchtigen sitzen.«
»Sie selbst bekamen keine Cholera?« fragte ich.
Mellaire zeigte mir seine linke Hand – ich hatte schon bemerkt, daß der Zeigefinger fehlte.
»Das ist alles, was mir passierte. Der Alte hatte einen Foxterrier wie Sie. Als der Alte über Bord gegangen war, wurden der Hund und ich die besten Freunde. Als ich aber eben die letzte Leiche an Deck heißte, was tat das kleine Biest da? Sprang an meinen Beinen hoch und schnüffelte an meiner Hand. Ich drehte mich um und wollte ihn streicheln, aber im selben Augenblick war meine andere Hand zwischen die Räder gekommen, der
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