Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
Boot zu besteigen und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre ich im Wasser abgetaucht. Die Männer konnten sich ein verstecktes Grinsen nicht verkneifen, was mir aber egal war, denn ich hatte jetzt ganz andere Probleme. Weiblichkeit und Schwäche waren hier nicht angebracht, es herrschten andere Sitten.
An den Seiten des Bootes waren vier große Angeln angebracht und zwei weitere auf dem Dach der Kajüte. Sie erinnerten mich mehr an schussbereite Maschinengewehre, die in den Himmel ragten. Ganz oben stand ein einsamer Stuhl, der fest installiert war. Der ist wohl für den Kapitän, dachte ich. War aber nicht so, denn dieser Platz war heute für mich reserviert und ich sollte auch gleich meine Stellung da oben einnehmen. Wir fuhren ziemlich weit auf das Meer hinaus und dann ging der Motor aus und wir ankerten. Nun sollte es losgehen. Der Kapitän gab mir eine von diesen Riesenangeln in die Hände, erklärte mir kurz, wie ich damit umgehen musste und ich fand das auch gar nicht so kompliziert. Nun hing meine Angel im Wasser und die Männer überließen mich mehr oder weniger meinem Schicksal, tranken ein Bier, redeten und lachten über ihre eigenen Witze. Ich saß friedlich und entspannt mit der Angel in den Händen auf meiner hohen Kanzel und fühlte mich wie die Königin der Welt.
So vergingen einige Stunden, und außer dass mir wieder leicht übel wurde, passierte rein gar nichts. Genau so hatte ich mir immer das Angeln vorgestellt: Ruhig und beschaulich kann man seinen Gedanken nachhängen. Wie ich so in mich selbst vertieft war, gab es auf einmal einen Ruck und ich wäre fast von meinem Stuhl gefallen. Mein lauter Schrei unterbrach den Redefluss der Männer und fast gleichzeitig waren sie bei mir oben an meinem Stuhl, wo ich mich kaum noch halten konnte, denn durch immer wiederkehrendes Zerren an meiner Angel wurde ich hin- und hergeschleudert. Keiner sprach mehr ein Wort und alle waren nur noch hektisch und aufgeregt. Ich konnte erst wieder ruhig sitzen, nachdem mich die Männer auf meinem Stuhl festgeschnallt hatten und trotzdem fühlte ich mich, wie zur Folter vorbereitet. Um die Angel fester halten zu können, streifte man mir riesige dicke Handschuhe über meine Hände. Es war eindeutig: Ich hatte einen Fisch an der Angel, der nicht unbedingt zu den Kleinsten seiner Art gehören konnte, nur sehen konnte ich ihn nicht. Aber seine Stärke war mir gegenwärtig und mit Aufbringung meiner ganzen Kräfte hielt ich die Angel fest. Doch festhalten alleine reichte nicht, denn ich sollte ihn ja reinholen. Das hört sich so einfach an, ist es aber überhaupt nicht. Der Kapitän erklärte mir, dass ich den Fisch jetzt müde machen sollte, damit er an Kraft verlöre. Ich sollte also mit ihm spielen, so ungefähr, als ob man einen Hund an der Leine vor- und zurücklaufen lässt. Immer und immer wieder, bis er ruhiger wird. Ich sollte ihn wegschwimmen lassen und dann wieder mit der Spule der Angel ran holen. Dieser Kraftakt dauerte ungefähr eine Stunde und mithilfe der Männer an Bord zogen wir den Fisch immer dichter zu uns. Das erste, was wir von ihm erblickten, war ein langer Dolch, der die Verlängerung von seinem Maul war. Bei diesem Anblick wurde mir sehr mulmig und ich bereute diese Idee, vermeintlich friedlich auf eine Angeltour zu gehen.
Der Mexikaner hinter mir fuchtelte ganz unruhig mit seinem Riesendolch umher und nun wurde mir auch klar, wozu er dieses Ding bei sich hatte. Der Kapitän legte schon einen Baseballschläger in sichere Nähe, denn alles deutete auf einen schweren Kampf mit diesem Riesenfisch hin. Mir stockte das Blut in den Adern und ich wäre am liebsten weggelaufen, denn einen Todeskampf wollte ich nicht miterleben und mir tat das herrliche Tier leid. Es war ein Segelfisch, ähnlich einem Marlin. Die Männer schätzten ihn auf nicht ganz drei Meter lang und sechzig Kilo schwer. Mein Glück und das Glück dieses Fisches war aber, dass sein Fleisch nicht sonderlich schmackhaft sein soll, und die Besatzung entschied sich, ihn wieder freizulassen. Aber vorher musste er so dicht neben uns schwimmen, dass er befreit werden konnte und dafür war ein Kampf notwendig. Dies mit anzusehen fand ich schrecklich, denn die Männer brüllten alle wild durcheinander und liefen hektisch hin und her, bis sie ihn schließlich greifen und befreien konnten und er sich schnell und elegant von unserem Boot entfernte und in die Tiefe des Meeres abtauchte. An diesem Tag
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