Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
Gebete müssen dem kleinen Kerl die Stärke gegeben haben, die er brauchte. Jeden Tag besuchten wir ihn in der Klinik, so als ob man sein Kind im Krankenhaus besucht und dann wieder gehen muss. Das tat uns weh und wir wollten ihn wieder ganz nah bei uns haben. Der Arzt meinte, es ginge schon besser, aber er wollte noch nicht wieder alleine fressen. Wir wollten ihn trotzdem mitnehmen und ihm zu Hause die Geborgenheit und Pflege geben, die er brauchte. Die erste Nacht verbrachte Picasso am Kopfende unseres Bettes und einer von uns beiden streichelte ständig sein Fell, damit er spüren konnte, dass wir für ihn da waren. Alle paar Stunden stand Robert auf und fütterte ihn, zumindest versucht er das. Kügelchen für Kügelchen von dem Trockenfutter, das uns der Arzt empfohlen hatte, schob er zwischen Picassos Zähne, in der Hoffnung, er würde es annehmen und bei sich behalten. Robert ist sonst ein ungeduldiger Mensch, aber bei diesem Futter-in-das-Mäulchen-schieben entwickelte er die größte Geduld seines Lebens.
So haben wir Picasso eine Woche lang alle paar Stunden gefüttert, bis er dann endlich allein an seinen Napf ging und im Liegen die erste Mahlzeit zu sich nahm. Ich hatte nie geahnt, dass man sich wie ein Kind darüber freuen kann, wenn ein Hund am Napf liegt und frisst. Picasso hatte es geschafft und wir wussten, dass er ohne uns dem sicheren Tod geweiht gewesen wäre, wie es das Schicksal von so vielen Hunden hier ist. Sie werden geboren, schnell verkauft, um dann zu sterben. Aber ihn konnten wir retten und die niedliche Welpenzeit ging dann rasend schnell vorbei.
Picasso wuchs zu einem wunderschönen Hund heran. Aber ein richtiger Deutscher Schäferhund wurde er nie, dafür floss wohl zu viel mexikanisches Blut in seinen Adern. Er sah lustig aus, ein Ohr ragte steil und fest in die Höhe und das andere hing als Schlappohr runter. Überall, wo wir mit ihm auftauchten, amüsierte man sich über sein lustiges Schlappohr. Das war sein Markenzeichen und machte ihn zu etwas ganz Besonderem. Im Stillen dachte ich dann oft, vielleicht wäre „Van Gogh“ ein besserer Name gewesen?
Er war auch sonst nicht wie ein normaler Schäferhund, aber wir liebten ihn so, wie er war. Wir hatten kaum Probleme mit ihm, er bewachte das Haus, hat niemals etwas zerstört oder kaputt gemacht. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals spielte oder ins Wasser sprang. Er war ganz ruhig, geduldig, zog nie an der Leine, liebte all unsere Katzen und schmuste mit ihnen. Picasso war eine Seele von Hund, aber immer etwas langsam und sehr verschlafen, eben richtig mexikanisch! Wenn wir wieder mal Familiengruppen im Haus hatten, dann konnte er sich vorbildlich benehmen. Seinen Knochen durfte er nur auf dem Teppich knabbern, der alles etwas dämpft, und Toben war nur draußen angesagt. Nur eines konnten wir ihm nie verbieten. Dies war seine tägliche Patrouille auf der Dachterrasse des Hauses. Etwas geduckt lief er an der niedrigen Mauer entlang. Darüber gucken durfte er nicht, da wir nicht wollten, dass die Besucher ihn sehen. Sie wussten zwar, dass wir einen Schäferhund hatten, aber Picasso sollte nicht ihre Privatsphäre stören und sie sollen sich auch nicht durch einen Hund beobachtet fühlen.
Aber Picasso fand schnell eine Möglichkeit, wie er unerkannt stundenlang das Geschehen unten am Pool beobachten konnte. Denn in der niedrigen Mauer war ein Loch, wo sich ein Wasserspeier befand, der das Regenwasser ablaufen ließ. Dieses Loch wurde seines. Er kauerte unerkannt für die Gäste vor dem Wasserspeier und mit nur einem Auge kontrollierte er alles. Einmal kam er ganz aufgeregt angelaufen, legte sich sofort in sein Bett und stellte sich schlafend. Die Kinder tobten und sprangen furchtbar laut durch das Wasser im Pool, und dabei musste wohl ein Wasserspritzer seinen Beobachtungsposten erreicht haben. Er war ja so wasserscheu, wenn es wirklich einmal regnete, tat er keinen Schritt vor die Tür. Erst wenn wieder alles getrocknet war, wollte er seine Gassi-Runde drehen. Seit diesem Tag bezog er seinen Posten dort vor dem kleinen Loch nur noch, wenn er ganz sicher war, dass sich niemand im Wasser befand. Sonst siegte die Angst über die Neugier.
Kapitel 29
Die Geschäfte mit der Firma „Oceantime“ und Ernesto liefen nicht so gut, wie wir erwartet hatten, aber wir machten immer weiter und das Vertrauen und die Freundschaft zu Ernesto und Carolyn vertiefte sich
Weitere Kostenlose Bücher