Mias verlorene Liebe
Angst?
Sie standen sich immer sehr nahe, und nach Kays Unfall wurde die Vater-Tochter-Beziehung noch enger. Ethan würde ihr das wahrscheinlich nicht glauben, aber sie hatte ihren Vater in den letzten Jahren vermisst. Die Vorstellung, ihn wiederzusehen … und vielleicht den Eindruck zu haben, einem Fremden gegenüberzustehen, kam Mia unerträglich vor.
Und was Grace betraf …
„Ich bin nervös“, gab sie schließlich zu.
„Wenn es dir ein Trost ist: Nach der anfänglichen Freude, dass du lebst und es dir gut geht, macht ihn der Gedanke, dich zu treffen, mindestens ebenso nervös.“
Das tröstete Mia tatsächlich. Allmählich wich die Anspannung aus ihren Schultern. „Hat denn deine Mutter bereits mit ihm gesprochen?“
Ethan nickte. „Und das war ganz gewiss nicht das leichteste Gespräch, das sie in ihrem Leben geführt hat.“
Das allerdings konnte Mia ohne Weiteres nachvollziehen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie Grace es bewerkstelligt haben mochte, das Thema überhaupt anzusprechen.
„Übrigens, was meine Mutter betrifft … ich würde es begrüßen, wenn du deine Meinung zu ihrer Person für dich behalten würdest.“
„Ist das eine Warnung, Ethan?“
„Ganz und gar nicht. Meine Mutter ist durchaus in der Lage, mit Taktlosigkeiten und Unverschämtheiten umzugehen. Meine Besorgnis gilt eher William. Ich befürchte, er würde es nicht gut aufnehmen, solltest du Grace beleidigen.“
„Ich bin mir durchaus bewusst, wo die Loyalität meines Vaters liegt.“
„Es geht doch nicht um Loyalität!“
„Können wir das Thema nicht einfach lassen?!“ Mia seufzte tief auf. „Ich bin müde, nervös, gereizt … und würde einfach gern etwas schlafen.“
„Möchtest du, dass ich dir das Schlafzimmer zeige?“
„Ich weiß schon, wo es ist, vielen Dank … außerdem reicht mir ein kurzes Nickerchen hier in dem Sitz“, lehnte Mia brüsk ab. Dabei spürte sie, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
„Wie du willst“, entgegnete Ethan achselzuckend. Er wandte sich ab und blickte zum Fenster hinaus.
Dies gab Mia Gelegenheit, ihn unbemerkt zu beobachten. Obwohl er so gut aussah wie immer, registrierte sie doch feine Linien um Mundwinkel und Augen, die sonst nicht zu sehen waren. Offensichtlich ist er doch nicht ganz so unbeteiligt und souverän, wie er sich gibt.
War es möglich, dass er diesem Treffen ebenso nervös entgegensah wie sie selbst?
„Jetzt hör auf, Mia! Es ist alles in Ordnung … du siehst gut aus.“
Er hat gut reden, dachte sie, während sie neben ihm in dem Wagen saß, der sie nach der Landung auf dem Privatflughafen abgeholt hatte. Statt Jeans und T-Shirt trug sie nun einen figurbetonten grünen Pulli und einen kurzen Rock, an dem sie jetzt nervös herumzupfte.
Es war kurz nach einundzwanzig Uhr. Auf der Autobahn herrschte reger Verkehr, der nachließ, als sie die Ausfahrt nach Grasse nahmen. Und hier in den engen Straßen, die in die Berge führten, begegnete ihnen kein einziges Fahrzeug mehr.
Unter anderen Umständen würde Mia sich freuen, wieder in dieser Gegend zu sein. In diesen Bergen, die sich in Terrassen erstreckten, so weit das Auge reichte, und die aromatische Luft zu atmen. Früher war sie glücklich gewesen, die Sommermonate hier verbringen zu können. Aber jetzt, da sie sich der Villa näherten, fühlte sie sich viel zu nervös und angespannt, um überhaupt irgendetwas genießen zu können.
Sie blickte Ethan an. „Ich habe ganz vergessen, dich zu fragen, ob es für dich problematisch war, England so kurzfristig zu verlassen.“
„Meinst du unter privaten oder unter geschäftlichen Gesichtspunkten?“
Mia verzog unwillig den Mund. „Unter geschäftlichen natürlich.“
„Natürlich“, echote Ethan ironisch. „Ist das eine Fangfrage? Wenn ich ja sage, gehst du davon aus, dass ich mein Geld als Geschäftsführer von Burton Industries nicht wert bin, und wenn ich Nein sage, freust du dich …?“
„Ich meine nicht, dir jemals Anlass zu der Annahme gegeben zu haben, ich sei gehässig oder schadenfroh.“
Das ist wahr, stimmte Ethan innerlich zu. Allerdings wurde er nach wie vor nicht klug aus dieser neuen Mia. Er ging nicht davon aus, dass sie aus reiner Bosheit fünf Jahre lang verschwunden war – eher aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus. Der Selbstmord ihrer Mutter und die neue Ehe ihres Vaters überforderten sie schlichtweg. Sie musste wohl Abstand von allem gewinnen. Und die Beziehung zu ihm fiel dieser Tatsache eben zum
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