Mias verlorene Liebe
setzte sich – ebenso wortlos – und schenkte sich ein, gab Milch und Zucker dazu und nahm genussvoll den ersten Schluck. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, welchen Eindruck sie auf Grace machen musste. Zwar hatte sie in der Hoffnung, etwas frischer zu wirken, ein gelbes T-Shirt angezogen, aber …
Der morgendliche Blick in den Spiegel hatte ihr gezeigt, wie wild und zerrauft ihr das Haar vom Kopf abstand, aber auch nach dem Duschen wirkte sie nicht wirklich munter. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, die sie durch eine Sonnenbrille zu verbergen suchte … und sie war sich sicher, dass ihr Mund noch von den leidenschaftlichen Küssen gerötet war.
„Hast du nicht gut geschlafen?“, erkundigte sich Grace, während sie sich zu Mia setzte.
Habe ich überhaupt geschlafen? überlegte Mia. Wenn ja, dann höchstens ein, zwei Stunden. Es war jetzt acht Uhr, und Ethan und sie hatten sich die ganze Nacht lang geliebt …
Mia hob die Tasse mit leicht zitternden Händen an, nahm noch einen Schluck und vermied es sorgfältig, Grace anzusehen. „Ach, die erste Nacht schlafe ich nie gut in einem fremden Bett.“
„Du könntest ja nach dem Essen einen Mittagsschlaf machen.“ Diplomatisch verbiss sich Grace die Bemerkung, dass es sich bei dem Bett nicht um ein fremdes, sondern um Mias eigenes Jugendbett handelte.
Erst nach ein paar weiteren Schlucken fühlte Mia sich allmählich dazu fähig, nach Ethan und William zu fragen. Sie versuchte, ihre Stimme möglichst unbeteiligt klingen zu lassen.
Wo zum Teufel ist Ethan? fragte sie sich insgeheim. Es drängte sie, ihm in die Augen zu sehen, um zu wissen … woran sie mit ihm war und wie sie sich benehmen sollte.
„Ach, die beiden sind ins Dorf gegangen, um Croissants für unser Frühstück zu holen.“
Allein bei dem Wort Croissant zog sich Mia schon der Magen zusammen. Sie wollte nichts essen … sie wollte Ethan!
„Ich hoffe sehr, du hast deine Meinung geändert und bleibst noch ein paar Tage.“ Grace schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. „William würde sich wirklich freuen.“
Versonnen lächelte Mia. Es machte sie glücklich, ihren Vater wiederzusehen. Ihre Beziehung war natürlich eine völlig andere als früher … aber vielleicht … wenn sie eine Zeit lang miteinander verbringen würden … könnten sie möglicherweise doch wieder eine gemeinsame Ebene finden.
Zeit haben … füreinander …
Mein Vater und ich …? Ob das überhaupt möglich ist? Dessen war sie sich nach der letzten Nacht ganz und gar nicht sicher. Vor fünf Jahren hatte sie eine Entscheidung getroffen … und die Folge war, dass jetzt Grace und Ethan Williams Familie waren. Sollte sich die vergangene Nacht als Fehler erweisen, dann wäre es unfair von ihr, die anderen darunter leiden zu lassen.
Daran hätten Ethan und sie vorher denken müssen.
„Ich habe nur für zwei Tage eine Vertretung organisiert.“
„Das lässt sich doch sicherlich ändern.“
„Nicht wirklich. Ich habe nur zwei Angestellte … und die kann ich natürlich nicht ewig allein lassen.“
„Na ja. Wenn jemand Verständnis dafür hat, dass die Arbeit vor allem anderen vorgeht, dann gewiss William.“ Grace schüttelte bedauernd den Kopf. „Das heißt, du reist wirklich heute Mittag ab?“
Da Mia nicht wusste, wie die Dinge zwischen Ethan und ihr standen, nickte sie zustimmend.
„Vielleicht solltest du dir dann überlegen, ob du Weihnachten mit uns verbringen willst?“
„Vielleicht.“ Auch das kam auf ihre Beziehung zu Ethan an! Sie konnten ja schlecht so tun, als wären sie eine große, glückliche Familie, wenn sie und Ethan nicht einmal miteinander redeten. „Das ist ja erst in drei Monaten!“
„Ich …“, begann Grace, brach aber ab, als Ethan und William um die Ecke kamen. Ethan hielt die Tüte mit den angekündigten Croissants in der Hand.
Das ist ungerecht! dachte Mia nach einem verstohlenen Blick. Wie kann ein Mann, der die ganze Nacht Sex gehabt hat, so attraktiv und ausgeruht aussehen!? Ethan war einfach ein Bild von einem Mann: Das eng anliegende schwarze T-Shirt schmiegte sich an seinen durchtrainierten Oberkörper, und die Jeans betonten seine schmalen Hüften und seine sehnigen, muskulösen Oberschenkel. Der Schein der Morgensonne ließ sein Haar verführerisch glänzen und zauberte kleine Reflexe auf die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille.
Das hieß … Mia konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen und musste weiterrätseln, wie es in ihm aussah. Eine kleine
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