Mias verlorene Liebe
würde.
Der Ausdruck in Ethans Augen war immer noch nicht zu deuten. Um seinen Mund lag jedoch ein weicher Zug. „Ich glaube, William würde gern allein mit dir sprechen, bevor du fährst.“
„Ach ja?“
Ethan hatte William am Morgen überredet, mit ihm ins Dorf zu gehen, da er mit ihm sprechen wollte. Er wollte ihm erklären, dass er die Zeit für gekommen hielt, Mia die Wahrheit zu sagen.
Wie sich herausstellte, war William gerade zu demselben Schluss gekommen.
Er hatte in der vergangenen Nacht schon mit Grace darüber gesprochen. Sie war der Ansicht, Mia sei kein Kind mehr, das vor der Wahrheit geschützt werden müsse. Und wenn er sich in Zukunft eine Beziehung zu seiner Tochter wünsche, solle er ehrlich zu ihr sein.
„Ja, genau. Ich bin am Pool, solltest du später jemand zum Reden brauchen … oder eine Schulter zum Anlehnen.“
Ethan bezweifelte allerdings, dass Mia seine Schulter wählen würde … ihr Wunsch, so bald abzureisen, sprach ja Bände. Offensichtlich hatte die letzte Nacht für Mia nichts geändert.
„Dann eben nicht“, fügte er trocken hinzu, als sie keinerlei Reaktion zeigte.
„Weißt du, worüber er mit mir reden will?“
„Meinst du nicht, das geht nur euch beide an?“
Am liebsten hätte Mia mit dem Fuß aufgestampft. „Bedeutet das, du weißt es, sagst es mir aber nicht?“
Es bedeutet, dass ich dir nicht noch mehr Anlass geben will, mich zu verabscheuen, gab Ethan ihr innerlich zur Antwort. Laut sagte er jedoch: „Ich informiere dann mal die Crew, sich für den Flug heute Nachmittag bereitzuhalten.“
„Gut.“ Mia runzelte die Stirn und stand einen Moment lang unschlüssig da.
„Gern geschehen“, versicherte Ethan. Mia nickte kurz – dann ging sie schnell davon. Offenbar konnte sie gar nicht schnell genug von ihm wegkommen – bereute sie die gemeinsame Nacht denn so sehr?
12. KAPITEL
Eine Stunde später verließ Mia wie betäubt das Büro ihres Vaters. Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt, als sei ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Ihr Leben fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Wie war es nur möglich, dass sie sich so völlig getäuscht hatte!?
In allem! Was die Ehe ihrer Eltern betraf, die vermeintliche Affäre ihres Vaters mit Grace Black – ihre eigene Beziehung zu Ethan! War sie doch felsenfest davon überzeugt gewesen, dieser habe sie nur für seine eigenen Zwecke ausgenutzt.
Was sie soeben von ihrem Vater erfahren musste, ließ jedoch alles in einem völlig neuen Licht erscheinen. Es war herzzerreißend.
Eigentlich unglaublich – und doch gleichzeitig absolut glaubwürdig.
Mia zweifelte keinen Augenblick daran, dass ihr Vater die Wahrheit sagte – ihm, den sie doch als Fels in der Brandung kannte, brach während seiner Erzählung immer wieder die Stimme, und Tränen rannen ihm über das Gesicht. Schließlich hatte Mia mit ihm geweint.
Schon seit ihrer Ankunft gestern zweifelte sie an ihrer eigenen Einschätzung der Dinge. Ethans Enthüllung, ursprünglich eine Karriere als Hochschuldozent angestrebt zu haben, und das integre Verhalten von Grace während ihres Gesprächs unter vier Augen hatten ihren Teil dazu beigetragen.
Grace Burton: die Frau ihres Vaters – und verdientermaßen Mias Stiefmutter.
Nun lag offen da, wovor ihr Vater sie all die Jahre zu beschützen versuchte.
Die zahlreichen Affären ihrer Mutter während ihrer Ehe. Die Tatsache, dass sie am Tag ihres Unfalls ihre Familie wegen eines Liebhabers verlassen wollte. Wie William zu der verkrüppelten und entstellten Mutter seiner Tochter gehalten hatte, als der neue Mann nichts mehr von ihr wissen wollte. Wie dieser Exgeliebte William mit der Drohung zu erpressen begann, Mia alles zu erzählen.
Wie William und Grace sich ein Jahr nach dem Unfall kennengelernt und ineinander verliebt hatten – eine Liebe, die bis zu Kays Tod drei Jahre später rein platonisch blieb.
Kays Selbstmord.
Tatsächlich hatte Kay ihrem Mann einen Brief hinterlassen, den er Mia auch zeigte. Darin beschrieb sie, wie erschüttert sie war, als sie eines Tages in Williams Schreibtisch die Erpresserbriefe ihres einstigen Liebhabers entdeckte. Erst da wurde ihr auch klar, dass William bereits seit dem Unfall davon wusste, dass sie ihn und ihre Tochter verlassen wollte.
„Mia! Geht es dir gut?“
Mia hob erschrocken den Blick und sah Ethan ein paar Meter entfernt im Flur stehen – anscheinend beobachtete er sie schon seit einiger
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