Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
mir die Nase geputzt. Und jetzt sollten wir verlobt werden und später heiraten? Das konnte nicht sein? Ich war doch noch ein Kind.
Dann kam Vater. Fröhlich betrat er die Küche, was ungewöhnlich war, weil er meistens schlechte Laune hatte. Dass ich völlig verstört war, bemerkte er nicht oder wollte es auch nicht wahrnehmen. Doch plötzlich wandte er sich mir zu und sagte: »Heute Abend wirst du mit deinem Cousin Mustafa verlobt.« Das war’s, mehr sagte er nicht. Widerspruch duldete er keinen, nie. Mama stand weiter am Herd, jetzt weinte sie wieder. Ich warf mich in ihre Arme und schluchzte hemmungslos. Da wurde mein Vater wütend und brüllte. »Was willst du eigentlich? Wen willst du hier im Dorf heiraten? Hier gibt es nur arme Schlucker. Willst du einen von denen? Du solltest froh sein, dass Tante Songül dich haben will. Dann kannst du mit nach Deutschland gehen.« Das war es also, er wollte mich loswerden. Ein Esser weniger, so hatte er sich das wohl zurechtgelegt.
Ich hatte keine Ahnung, was da im Vorfeld abgelaufen war. Weder wusste ich, dass bei uns im Dorf tatsächlich schon jemand Interesse an mir gezeigt hatte. Ein Nachbar hatte vor ein paar Monaten anne ganz offen gefragt: »Deine Tochter ist jetzt groß, gibst du sie mir als Schwiegertochter?«
Sie war so empört, dass sie abweisend antwortete: »Um Gottes Willen, nein, Allah möge das verhindern!« Hatte sie sich versündigt? Sie jedenfalls fasste Vaters Plan jetzt als Strafe Gottes auf. Auch, dass meine Mutter – im Stillen – gegen diesen Plan erbitterten Widerstand leistete, hatte ich nicht mitbekommen. Schon als Vater und Tante sich fast einig waren, hatte sie wohl zu Tante Songül gesagt: »Vergiss es! An dieser Rose darfst du nicht riechen.« Auch mit Vater hatte sie immer wieder geredet und ihm gesagt, dass diese Familie keine gute Familie sei. Aberdie Einwände seiner Frau interessierten ihn nicht. Er ließ sie nicht gelten. Es war schließlich sein eigener Bruder und dessen Frau, die seine Tochter haben wollten. Für ihn war die Sache klar. Durch eine Heirat mit Mustafa bekam ich eine einmalige Chance – nämlich die, nach Deutschland, ins gelobte Land , zu gehen. Außerdem hatten Onkel und Tante nur Söhne, fünf an der Zahl, und keine Tochter. Sie brauchten also dringend ein Mädchen, das ihnen bei der täglichen Arbeit zur Hand ging. Da wollte man der Verwandtschaft natürlich unter die Arme greifen. Was sie unter »zur Hand gehen« verstanden, sollte ich noch auf die bitterste Art und Weise erfahren.
An jenem Nachmittag im Sommer gab es jedenfalls nicht mehr viel zu reden. Die Erwachsenen hatten über mich und Mustafa entschieden, und wir hatten uns zu fügen. Ich hatte keine Ahnung, was mein Cousin von diesem Arrangement hielt, ich wusste nur, dass mir die ganze Sache gar nicht gefiel. Ich war doch noch ein Kind, das mit Puppen spielte, wenn man es ließ. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich zu widersetzen. Widerspruch gab’s bei uns nicht, und wagte man es doch, so hatte man außer Prügel nichts zu erwarten.
Der Abend rückte näher, Mutter und ich waren in der Küche mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt. Ich fühlte mich wie in Watte gepackt, fast wie betäubt und dann wieder seltsam aufgekratzt. Ich hatte keine genauen Vorstellungen, was Verlobung und Heirat bedeuteten, aber mir war klar, dass ich weggehen musste. Weg aus unserem Dorf, weg von meiner über alles geliebten anne . Ich hasste den Gedanken jetzt schon. Andererseits hatte ich von Deutschland viel gehört. Es musste das Paradies sein. Offensichtlich lag in Almanya das Geld auf der Straße, so jedenfalls erzählten es die Leute, die schon dort lebten und arbeiteten. Und ich hatte keinen Grund, ihnen nicht zu glauben.
Dann war das Essen fertig, und ich bereitete die gute Stube für den Abend vor. Ich legte also ein großes Tuch auf den Boden und stellte kleine Suppenteller darauf, legte Löffel und kleine Gabelndazu. Zur Feier des Tages hatte meine Mutter eine besondere Suppe mit Huhn und Kichererbsen gekocht, dazu sollte es geröstete Kartoffeln mit kleinen Fleischstückchen und natürlich Brot geben. Außerdem verteilte ich noch ein paar Teller mit frischen Tomaten, Gurken, Paprika und Zwiebeln. Trinken würden wir frischen ayran .
Je näher die Stunde rückte, umso aufgeregter wurde ich. Inzwischen hatte ich auch jedes Gefühl verloren. Ich wusste nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte. Dann ging plötzlich die Tür auf, und
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