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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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kleineren Söhne dort gelassen. Sie hatten sie nicht bei den Vorbereitungen für die Hochzeit dabeihaben wollen. Bei der Großmutter waren sie gut aufgehoben.
    Ich war damals tief beeindruckt. Die Größe des Hauses, der Straße und der Stadt überwältigten mich. Gerne hätte ich mehr gesehen. Aber wir sind nicht hinunter an den Bosporus gefahren, auch sonst haben wir nichts angeschaut. Ich weiß nicht, ob andere Türken das machen, ich jedenfalls kenne die Sehenswürdigkeiten von Istanbul bis heute nicht. An den zwei verbleibenden Tagen haben wir Verwandte besucht, ein paar meiner Onkel und Freunde und Nachbarn aus unserem Dorf hatten sich hier niedergelassen. Wir besuchten sie alle, tranken Tee und plauderten. Und die Zeit verging wie im Flug.
    Am 1. August war es endgültig so weit. Um zehn Uhr sollte die Maschine abheben. In der Nacht habe ich wieder kein Auge zugetan. Anne auch nicht. Wir schliefen alle im gleichen Raum, und ich hörte sie leise ins Kissen weinen. Vater schnarchte. Ich glaube, er war erleichtert, mich endlich loszuwerden. Morgens sind wir zeitig aufgestanden, haben kurz gefrühstückt, aber viel habe ich nicht essen können. Ich war viel zu aufgeregt. Einer meiner Onkel, der ja auch Mustafas Onkel war, hat uns um acht Uhr an den Flughafen gebracht. Dann ging alles sehr schnell: Koffer auf einen Wagen, einchecken, Vater und Mutter verabschieden, Passkontrolle und das war’s. Der Abschied war dramatisch gewesen, sogar bei Vater meinte ich ein bisschen Traurigkeit zu spüren, als er mich kurz umarmte. Aber anne und ich konnten uns kaum trennen. Onkel Ahmed musste schließlich zwischen uns gehen. Danach konnte ich sie nur noch durch eine dicke Glasscheibe sehen. Tränenüberströmt wandte ich mich ab.
    Als Nächstes erinnere ich mich an einen Fensterplatz in diesem stählernen Vogel, dem Flugzeug. Ich staunte. Die schönen Uniformen der Stewardessen, die Mitreisenden, die ganze Atmosphäre. Mir stockte der Atem. Eine Stimme ertönte und wies uns an, den Gurt anzulegen. Das Licht ging aus, und schon bald beschleunigte die Maschine. Dann waren wir in der Luft. Es ging so schnell, dass ich nicht mal Zeit gehabt hatte, mich zu fürchten. Das Flugzeug flog einen Bogen über das Meer und stieg immer weiter in den stahlblauen Himmel hinauf. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und dachte an die Berge und Hügel von Ballidere und an meine anne . Tränen liefen über mein Gesicht.

Mein neues Leben
    1. August 1978, 12.30 Uhr, Flughafen München-Riem. Die Maschine der Turkish-Air aus Istanbul war pünktlich gelandet. Meine neue Familie und ich standen in einer langen Schlange am Einreiseschalter. Vor uns, hinter uns, überall türkische Gastarbeiter. Sie alle kamen aus dem Sommerurlaub zurück. Nur ich, Ayşe , ich war neu in diesem Land. An der Passkontrolle gab es keine Probleme, alle Stempel waren vorhanden, der Zollbeamte ließ mich ungehindert einreisen. Ob es wohl schwierig gewesen wäre, wenn ich einen anderen Namen getragen hätte? Denn in meinem Pass war ja immer noch mein Mädchenname eingetragen. Eine Namensänderung war nicht nötig gewesen, da ich ja einen Cousin geheiratet hatte. Ich hieß jetzt genauso wie vor der Hochzeit. Der Zollbeamte hielt mich vermutlich für die Tochter der Großfamilie. Dass er eine minderjährige Ehefrau vor sich hatte, auf die Idee wäre er sicher nie gekommen.
    In der nächsten Halle drängten sich viele Menschen. Sie standen um ein Band herum, das sich durch den Raum schlängelte. Dann kamen die ersten Koffer. Ich staunte. Waren das nicht die Koffer, die wir in Istanbul abgegeben hatten? Onkel Ahmed hatte mit Mustafa inzwischen einen Wagen besorgt. Die Schwiegermutter stand mit dem Kleinkind auf dem Arm in der vordersten Reihe. Als der erste unserer Koffer auf dem Band kam, rief sie Onkel Ahmed. Der bahnte sich einen Weg durch die Menge und hievte ihn direkt auf das Wägelchen. Es dauerte eine Weile, bis wir unser ganzes Gepäck beieinander hatten. Und alle, außer den Kleinen, waren damit beschäftigt. Die drei Jungen liefen in die Menschenmenge, immer hin und her. Sie spielten Fangen miteinander und amüsierten sich köstlich. Es war ein ziemlicherAuftrieb, um mich herum nur türkische Wortfetzen. Das beruhigte mich ein bisschen, und ich war nicht mehr ganz so aufgeregt.
    Mit dem Wägelchen und den Kindern im Schlepptau machten wir uns auf den Weg. Ich wusste nicht wohin, also lief ich hinter den anderen her. Wir durchquerten eine große Halle und stiegen

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