Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Kartoffeln fertig war, wies sie mich an, sie in Würfel zu schneiden. Die brieten wir dann in einer großen Pfanne.
Innerhalb kürzester Zeit hatten wir ein Essen für alle zubereitet. Als es an’s Tischdecken ging, kam ich wieder ins Staunen. Hier gab es nicht nur viele Teller, auch Tassen und Gläser waren in rauen Mengen vorhanden. Was für ein Unterschied! Zu Hause hatten wir gerade mal zwei Teller, ein paar Tassen und ein wenig Besteck gehabt. Mehr brauchten wir auch nicht, denn Mutter, meine Geschwister und ich hatten sowieso immer nur aus einem einzigen Teller gegessen. Hier hatte jeder einen eigenen Teller. Als die dampfenden Kartoffeln auf dem Tisch standen, merkte ich plötzlich, wie hungrig ich war. Vor lauter Aufregung hatte ich den ganzen Tag nichts gegessen. So griff ich herzhaft zu. »Na, sie kann hoffentlich noch mehr als reinhauen«, brummte meine Schwiegermutter leise.
Nach dem Essen musste ich abwaschen. Das war schwierig, weil das Spülbecken für mich zu hoch war. Ich suchte mir also einen kleinen Schemel, auf den ich mich stellen konnte. Tante Songül brachte den Kleinen ins Bett. Die anderen Jungen alberten im Zimmer herum. Wo Mustafa war, weiß ich nicht. Vielleicht waren er und der Onkel zu den Verwandten nach unten gegangen. Im Erdgeschoss lebte nämlich eine unserer Tanten mit ihrer Familie. Tante Songül war mit dem Auspacken beschäftigt. Dann kam sie in die Küche zurück und herrschte mich an, warum ich mit dem Abwaschen noch nicht fertig sei. Als ich ihrsagte: »Ich hab’s doch gleich, Tante«, erwiderte sie: »Ich bin jetzt deine Mutter , merk dir das. Ab sofort nennst du mich Mutter und deinen Onkel Vater , verstanden?« Was sollte das? Ich hatte doch schon eine Mutter, und sie war nur meine Tante , warum sollte ich sie plötzlich Mutter nennen? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also schwieg ich und beendete meine Arbeit. Dann setzte ich mich wieder auf einen Stuhl.
Aber Hinsetzen war ganz offensichtlich nicht erlaubt. Kaum dass ich saß, kam sie schon wieder in die Küche und erteilte mir die nächste Aufgabe. Ich sollte die Betten für die Kinder fertig machen. Die drei größeren waren fünf, sieben und acht Jahre alt und schliefen in einem Stockbett. Die Betten mussten neu überzogen werden. Das sollte ich erledigen, während sie die Jungen waschen und für die Nacht fertig machen wollte. Dazu erhitzte sie Wasser in einem großen Topf. Dann trennte sie das Spülbecken, das in eine braune Küchenzeile integriert war, mit einem großen Vorhang ab und verwandelte die Küche so in ein provisorisches Badezimmer. Mit jeweils einem ihrer Söhne verschwand sie dahinter. Nach einer halben Stunde waren alle fertig gewaschen und angezogen. Erschöpft und müde krochen sie in ihre Betten.
Mustafa war inzwischen wieder aufgetaucht und saß auf dem Sofa in der Küche herum. Wir beide sollten auf Matratzen schlafen. Die waren unter den Stockbetten der kleinen Brüder verstaut. Schwiegermutters Laune war inzwischen auf einem Tiefpunkt angekommen. Grimmig erteilte sie ihre Anweisungen: »Leintücher über die Matratzen, Bettdecken in die Bezüge und dann ab Marsch.« Während Mustafa hinter dem Vorhang verschwunden war und sich wusch, erledigte ich die Arbeit. Danach ging auch ich zum Waschen. Das warme Wasser war aufgebraucht, so dass ich mit kaltem vorlieb nehmen musste. Aber das war mir gerade recht, weil mir ohnehin so heiß war. Also wusch ich mich und zog mein einziges Kleid an. Einen Schlafanzug hatte ich nicht. Die Schwiegermutter lachte laut, als sie mich sah. »Na kız , hast wohl kein Nachtgewand?« Dann griff sie in einen Schrank und holte einNachthemd von sich heraus. Verlegen verschwand ich wieder hinter dem Vorhang, streifte mein Kleid ab und schlüpfte in das Nachthemd. Nachthemden mochte ich nicht, und dieses Exemplar war mir außerdem zu groß. Aber egal, wenigstens würde sie mich jetzt nicht mehr auslachen.
Leise sagte ich: » Iyi geceler , gute Nacht«, und ging ins andere Zimmer. Die Kleinen schliefen schon. Mustafa lag im Bett und wartete auf mich. Ich machte das Licht aus, schlüpfte unter die Decke und wünschte auch ihm: »Iyi geceler.« Als ich mich umdrehen wollte, hielt er mich fest und wollte mich küssen. Ich sträubte mich und sagte: »Nein, nicht jetzt. Du weißt, dass wir das noch nicht dürfen. Wir müssen bis zur Hochzeit warten.« Ja, ich weiß, das klingt ein bisschen komisch, weil wir ja schon auf dem Standesamt gewesen und offiziell verheiratet
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