Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
dann in einen Bus ein. Hier waren auch andere Menschen. Sie waren anders gekleidet und sprachen eine andere Sprache. Das musste Alman sein. Es dauerte eine Weile, bis alle im Bus waren und er losfahren konnte. Nach einer kurzen Strecke hielt er an, und wir mussten wieder aussteigen. Das war ein ziemlicher Umstand, weil wir so viele Personen waren und so viel Gepäck hatten. Alle anderen stiegen auch aus. Was für ein Gedrängel! Hier gab es keine Wägelchen, also mussten wir unser Gepäck selber tragen. Onkel Ahmed und Mustafa übernahmen die Koffer, und ich schleppte mich mit den Taschen ab. Die Tante trug das Kleinkind und hatte den zweitjüngsten Sohn an der Hand. Wir erreichten ein Gebäude, dort waren wieder viele Menschen. Manche standen an einem Schalter an, andere vor blauen, eckigen Maschinen. Meine Schwiegermutter steuerte auf eine dieser Maschinen zu, warf Münzen in einen Schlitz, drückte einen Knopf, und wenig später kamen ein paar Streifen Papier heraus. Aus dem Gespräch mit meinem Schwiegervater entnahm ich, dass das wohl die Fahrscheine waren. Sie beschwerte sich, dass es so teuer sei. Wir großen Kinder kosteten offensichtlich so viel wie die Erwachsenen. Dann fuhr ein Zug ein. Wir schafften unser ganzes Gepäck in einen Waggon, schoben die Kinder hinein und stiegen schließlich selbst ein. Zum Staunen blieb keine Zeit.
Für mich war alles neu. Ich war noch nie in einem Flugzeug geflogen, auch einen Zug hatte ich noch nie gesehen, geschweige denn war ich in einem gefahren. Ich glaube, mir stand ständig der Mund offen vor lauter Staunen. Dann setzte sich dieses komische Gefährt in Bewegung und fuhr los. Rechts und links satte, grüne Wiesen, vorbei an gelben Getreidefeldern, Baumgruppen und kleinen Wäldchen. Dazwischen lagen immer wiederDörfer, in denen wir anhielten und Leute aus- und einstiegen. So sind wir eine halbe Stunde gefahren, dann waren wir da. Unsere Endstation war ein Vorort im Münchner Osten. Aber das sagte mir damals natürlich überhaupt nichts.
Das Gepäck stand auf dem Bahnsteig. Onkel Ahmed und Mustafa mühten sich wieder damit ab. Ich trug ein paar Taschen und die Schwiegermutter den Kleinen. Müde trotteten wir eine Schotterstraße entlang. Hier sah es anders aus als bei uns. Die Häuser waren weiß gestrichen, und die meisten hatten hübsche, kleine Vorgärten, in denen bunte Blumen blühten. Dann hörten die Häuser auf, und wir liefen weiter durch grüne Wiesen, an einem kleinen Bach vorbei. Die Bienen summten, und die Vögel zwitscherten. Die Wiesen waren viel grüner als bei uns. Hier gefiel es mir.
Nach einem halbstündigen Fußmarsch hatten wir wieder Häuser erreicht und liefen durch eine kleine Siedlung. Ich spürte, dass wir neugierige Blicke auf uns zogen: Die Tante und ich mit unseren Kopftüchern, den bunten Röcken und den Pumphosen darunter. Der Onkel mit seiner Schirmmütze und den vielen Kindern im Schlepptau. Meine Schwiegermutter führte unsere kleine Karawane an. Plötzlich hielt sie vor einem Zweifamilienhaus an. »Da sind wir«, sagte sie und drückte mir das Kleinkind in den Arm. Sie holte einen Schlüssel aus ihrer Tasche und öffnete die Haustür. Über eine Marmortreppe gelangten wir in den ersten Stock. Oben waren zwei weiße Türen. In die linke steckte sie einen weiteren Schlüssel und öffnete sie. Dann schaltete sie das Licht an. Ich trat ein und stand in einem kleinen Flur, von dem zwei Räume abgingen. Es war dunkel in der Wohnung und angenehm kühl, aber es roch muffig. Die Fenster mussten dringend geöffnet werden. Hier war es also, mein neues Zuhause. Ich war angekommen in der deutschen Heimat meiner neuen Familie.
Die Ein-Zimmer-Wohnung meiner Schwiegereltern war nicht besonders groß: Der kleine Flur, eine Küche, ein Zimmer und ein WC. Badezimmer gab es keins. Aber das störte mich nicht. Da, wo ich herkam, war es ähnlich eng gewesen. Alles anderehätte mich nur noch mehr erstaunt. Inzwischen war es später Nachmittag, und wir waren alle ziemlich erschöpft. Die Männer räumten die Koffer in das eine Zimmer, und Tante hantierte mit dem Geschirr in der Küche. Ich saß auf einem Stuhl und schaute vor mich hin. Da ertönte auch schon ihre Stimme: »Komm, steh auf und hilf mir. Wir brauchen etwas zu essen.« Sie drückte mir eine Schüssel mit Kartoffeln in die Hand und bat mich, sie zu schälen. Sie selbst holte Tomaten und Gurken aus einer der mitgebrachten Taschen, wusch und schnitt sie in kleine Scheiben. Als ich mit den
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