Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
aufzuhören und das Fleisch für die Kühltruhe abzupacken. Das tat ich dann natürlich, aber in diesem Fall mit einer ziemlich heiteren Miene.
Der Islam spielte bei uns in der Familie eigentlich keine besonders große Rolle. Klar, wir Frauen hielten unseren Kopf bedeckt, so wie es die Religion vorschreibt. Aber komplett verhüllt habenwir uns nicht. Mutter und ich trugen – ganz nach türkischem Brauch – lange, bunte Röcke mit Pumphosen darunter, und langärmlige Blusen oder Pullover darüber. Und selbstverständlich hielten wir jedes Jahr den Fastenmonat Ramadan ein. Beten habe ich übrigens von meiner Schwiegermutter gelernt. Zu Hause in der Türkei war dafür nie Zeit gewesen, obwohl meine Eltern durchaus gläubig sind. So lernte ich in meiner ersten Zeit hier in Deutschland, wie sich gläubige Muslime auf das Gebet vorbereiten. Dass sie sich vor jedem Gebet Gesicht mit Mund und Nase, die Stirn, die Ohren und den Hals sowie die Arme und Füße bis zu den Knöcheln reinigen. Auch wie sie ihren Körper beim Gebet halten, brachte sie mir bei. Sie zeigte mir, wann der Oberkörper gebeugt wird, wann man sich wieder aufrichtet bzw. auf dem Teppich niederkniet und in die Hocke geht, um sich in Richtung Mekka zu verneigen. Von ihr lernte ich auch den genauen Wortlaut der Gebete. Dass man immer mit Allah Ekber (Allah ist groß) beginnt und erklärt, welches der fünf Gebete man verrichten will. Im Grunde meines Herzens bin ich eine gläubige Muslimin, aber wirklich praktiziert habe ich den Glauben immer nur während des Fastenmonats Ramadan.
In unserem bayerischen Dorf gab es eine große Moschee, da kamen sogar Leute von den umliegenden Gemeinden hin. Nein, das war keine Moschee mit einem Minarett, sondern ein ganz normales Wohnhaus. Im Erdgeschoss gab es zwei Räume, einen größeren für die Männer und einen kleineren für die Frauen. Während des Fastenmonats Ramadan war dort immer ziemlich viel los. Hier traf man sich nach dem Fastenbrechen. Denn wir Moslems dürfen in dieser Zeit ja nur vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang essen. Mutter hatte meist eine Suppe gekocht und andere türkische Speisen zubereitet. War die Sonne schließlich untergegangen, hat sich die ganze Familie in der Küche versammelt und gegessen. Das war immer ein Festmahl, obwohl man nie wirklich viel essen konnte, weil man den ganzen Tag gefastet hatte. Nach der Mahlzeit sind wir dann in die Moschee gegangen. Der Hoca hielt sich immer im Gebetsraum derMänner auf, und wir Frauen konnten ihn über Lautsprecher im Raum nebenan hören. Das hat mir gut gefallen. Denn neben dem Beten blieb immer auch Zeit, mit den Freundinnen zu schwatzen. Für mich war das eine willkommene Abwechslung, weil ich außer meiner Familie und meinen Arbeitskollegen ganz selten andere Menschen sah. Heute gehe ich allerdings nicht mehr in die Moschee, ich brauche den äußeren Rahmen nicht mehr. Ich habe meinen Gott immer bei mir.
Aber insgesamt nahmen es die Schwiegereltern – damals zumindest – nicht besonders genau mit dem Glauben. Mutter kaufte Schweinefleisch oder -wurst, und Vater trank am Feierabend sein Bier. Auch mit dem Kopftuch kann es ihr nicht so ernst gewesen sein, denn irgendwann legte sie es einfach ab. Das war zu der Zeit, als die anderen Schwiegertöchter zu uns kamen. Zwei von Mustafas Brüdern waren inzwischen groß und hatten in der Türkei geheiratet. Sie feierten eine Doppelhochzeit. Natürlich kamen die jungen Frauen wieder aus der näheren Verwandtschaft, diesmal von der Seite der Schwiegermutter. Und beide trugen ein Kopftuch, als sie hierher kamen. Aber schon nach kurzer Zeit in Deutschland legten sie es ab. Ich glaube nicht, dass sie um Erlaubnis gefragt haben, sie haben es einfach gemacht. Auch meine Schwiegermutter hat es von einem Tag auf den nächsten nicht mehr getragen, ließ sich einen Kurzhaarschnitt machen und ging jeden Monat zum Friseur.
Nun wollte auch ich meine Haare offen tragen. Meine Kolleginnen und Freundinnen hatten mir schon oft gesagt, dass ich mit meinem Kopftuch viel älter aussah. Schließlich fragte ich Vater , ob ich es ablegen dürfe. Der aber hat sofort auf stur geschaltet und ist wütend geworden. Obwohl er mir gegenüber immer zurückhaltend, ja fast freundlich war. »Du kannst es schon probieren, Ayşe «, sagte er, »aber ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass du dein Kopftuch wieder trägst.« Als ich ihn fragte, was genau er damit meinte, antwortete er: »Ja, wenn du’s mir nicht
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