Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
glaubst, dann nimm es ab. Aber danach gehen wir in den Wald, und ich schlag dich windelweich.« Dann setzte er, etwasversöhnlicher, hinzu: » Allah will nicht, dass du ohne Kopftuch rumläufst, verstehst du.« >Aha<, dachte ich, > Allah will es nicht!< Das hat mich eine Weile beschäftigt, weil ich nicht verstand, wieso Allah nichts dagegen hatte, dass sich Mutter und meine Schwägerinnen unbedeckt in der Öffentlichkeit zeigten. Allerdings traute ich mich nicht, das Thema bei Vater noch einmal anzuschneiden. Von mir erwartete man immer absoluten Gehorsam. Wäre ich so frech wie meine Schwägerinnen gewesen und hätte es einfach abgelegt, wäre vielleicht gar nichts passiert.
Mein Deutschland
Seitdem ich in diesem Land lebte, kannte ich nur die Arbeit. Vierzehn bis sechzehn Stunden täglich buckelte ich, zuerst in der Fabrik, dann zu Hause bei der Heimarbeit. Wenn ich einmal tatenlos dasaß, was selten genug vorkam, stand sofort die Schwiegermutter hinter mir und trieb mich an. Sie befahl mir zu putzen, Wäsche zu waschen, zu bügeln oder zu kochen, zu tun gab es immer etwas. Herausgekommen bin ich nie. Nie sind wir essen oder mal ins Kino gegangen. Ich kannte unser Dorf und die norddeutsche Kleinstadt, in der mein Bruder lebte. In München war ich ein paar Mal gewesen, aber in der Stadt kannte ich mich nicht aus. Die einzige Abwechslung in meinem Leben waren die Reisen in die Türkei, aber das kam auch nur alle zwei, drei Jahre vor, weil es zu teuer war. Nach acht Jahren Deutschland fühlte ich mich wie in einem langen, schwarzen Tunnel, ohne rettendes Licht am Ende.
Doch plötzlich veränderte sich mein Leben. Es begann alles mit einer weiteren Schwangerschaft, die nicht geplant war. Denn eigentlich wollte ich keine Kinder mehr. Mit der Verhütung hatte es nicht geklappt. Die Pille hatte ich nicht vertragen, und mit der Drei-Monats-Spritze war ich immer dicker geworden, also hatte ich sie abgesetzt und war prompt wieder schwanger geworden. Vielleicht lag es auch daran, dass ich meine beiden Söhne so vermisste. Denn Muhammed war seit Jahren ohne Unterbrechung bei der Großmutter in Istanbul, und auch Can war immer wieder dort. Mal lebte er für ein Jahr bei uns, dann wieder in der Türkei. Im Gegensatz zu Muhammed hatte er eine enge Beziehung zu mir, und ich vermisste ihn sehr. Vielleicht sehnte ich mich unbewusst nach einem weiteren Kind. Ich weiß es nicht.
Diesmal jedenfalls kam eine Abtreibung nicht in Frage. Ich würde dieses Kind bekommen.
Mutter war diesmal zufrieden, als sie von der neuen Schwangerschaft hörte. Endlich erfüllte sich ihr Traum von einer großen Familie mit vielen Enkelkindern. Auch Mustafa schien sich zu freuen. Aber mit fortschreitender Schwangerschaft bekamen wir Probleme. Denn mir wurde immer klarer, dass es so nicht weitergehen konnte. Immer arbeiten, essen, schlafen und wieder arbeiten. Und wenn Kinder kamen, trug man sie aus, brachte sie zur Welt und schickte sie dann zu den Verwandten in die Türkei. Nein, so wollte ich nicht mehr leben. Es musste etwas geschehen.
Das Haus, in dem unsere Großfamilie seit Jahren lebte, war ohnehin zu klein geworden. Mustafas Brüder waren inzwischen fast erwachsen und breiteten sich immer mehr aus. Ein weiteres Kind würden wir nicht unterbringen können. Und dann war da ja noch Muhammed, der irgendwann ganz zu uns nach Deutschland kommen würde. Plötzlich wusste ich, was zu tun sei: Wir mussten ausziehen. Vorsichtig erklärte ich Mustafa, dass alles zu eng sei und wir eine größere Wohnung bräuchten. Erst hat er gedacht, ich wollte mit der ganzen Familie umziehen. Als ich ihm dann klar machte, dass ich nur von unserer Familie, also von ihm, mir und den Kinder sprach, wurde er wütend. Davon wollte er überhaupt nichts wissen. Auch Mutter stellte sich stur, als sie davon hörte. »Wieso will sie ausziehen? Es ist doch viel besser, wenn wir alle unter einem Dach wohnen. Oder hat sie es etwa nicht gut bei mir?«, schimpfte sie los. Dass sie von mir immer nur in der dritten Person sprach, ist ihr gar nicht aufgefallen. Das war normal! Seit Jahren wurde ich von der ganzen Familie, aber vor allem von ihr, wie ein Gegenstand behandelt.
Ich wollte endlich raus aus diesem Haus, weg von ihr , in meine eigenen vier Wände. Und Mustafa? Er hatte noch nie ohne seine Familie, ohne seine Mutter gelebt und konnte sich das wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Aber ich ließ nicht locker. Immer wieder sprach ich mit ihm, fragte ihn, wie wir in unseren
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