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Michael - der Beschützer

Michael - der Beschützer

Titel: Michael - der Beschützer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: JoAnn Ross
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spielen. Ich verstehe allmählich die Motive der Person, die ich spiele, nicht mehr.”
    “Motivation ist nur wichtig bei den Schauspielerinnen, die glauben, dass sich die ganze Welt um sie dreht. Du brauchst nichts weiter zu tun, als ängstlich und angespannt dreinzusehen.” Der Drehbuchautor hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und ließ sie allein, damit sie den neuen Text lernen konnte.
    Lorelei hatte zwar nie eine Schauspielschule besucht, wollte aber doch den Charakter der Person, die sie spielte, verstehen. “Na schön”, sagte sie zu sich selbst. “Mal sehen, was wir im Moment wissen. Mary Beth Wyndom hat sich stets für intelligent und äußerst vernünftig gehalten. Sie schreibt zwar Romane, aber die von ihr erfundene Handlung ist in erster Linie absolut logisch. Die Detektivin, die Heldin ihrer Romane, folgt einer Reihe von Hinweisen und Spuren und bringt ihre Fälle durch harte Arbeit und klare Überlegungen zum Abschluss.”
    Bisher hatte sie genau diesen Charakter dargestellt, eine Frau, die Vampire, Geister und ähnliche Fantasieprodukte anderen Autoren überließ.
    “Von Voodoo und Beschwörungen habe ich nie etwas gehalten. Und meine Eltern würden mich einliefern lassen, wüssten sie, dass ich einen Mann zweihundert Jahre nach seinem Tod an seinem Grab treffen möchte.”
    Michael hörte, wie Lorelei von ihrer Filmrolle plötzlich in der ersten Person sprach, als wäre sie zu der von ihr dargestellten Frau geworden. Wahrscheinlich befand sie sich jetzt in einer anderen Welt.
    Lorelei versank immer weiter in ihrer Rolle. Der Liebhaber entsprang nur ihrer Fantasie. Er war nachts nicht wirklich bei ihr, aber morgens fand sie Spuren von Küssen und Bissen auf ihrer Haut, Beweise dafür, wie leidenschaftlich er sie geliebt hatte. Und Nacht für Nacht wuchs diese Leidenschaft. Trotzdem verlangte es sie ständig nach mehr und …
    “Es geht los, Lorelei!”
    Sie erwachte aus ihren Fantasien und sah sich um. Michael stand neben ihr und beobachtete sie sehr interessiert.
    “Das war faszinierend.”
    “Was denn?” Sie verstand nicht sofort, was er meinte.
    “Zuzusehen, wie dein Verstand arbeitet. Verwandelst du dich immer in die Person, die du darstellst?”
    “Nicht immer.” Allmählich fand sie in die Realität zurück. “Aber Brian ist ein guter Autor. Es ist zwar schlimm, dass er das Drehbuch ständig umschreibt, aber er schafft Figuren, mit denen ich mich identifizieren kann.” Sie lächelte verlegen. “Manchmal ist es fast so, als würden wir unbewusst unsere Gedanken austauschen.”
    Sie ging zu Wilder und besprach etwas mit ihm. Michael ließ sie nicht aus den Augen. Es gefiel ihm gar nicht, dass sie zu dem Autor eine so enge geistige Verbindung besaß.
    Sobald die Kamera lief, verwandelte Lorelei sich in Mary Beth Wyndom. Sie kannte Mary Beths Gedanken, Hoffnungen und Ängste.
    Die Leute, die Kameras, die Nebelmaschine und das Mikrophon über ihrem Kopf – all das schwand aus ihrem Bewusstsein.
    Sie war jetzt allein auf dem Friedhof. Die Gräber waren durch den dichten Nebel kaum zu erkennen und wirkten wie stumme weiße Geister. Sie trug ein lila Kleid. In dem schwachen Licht des Morgens sah ihre Haut glatt und kalt aus wie der Marmor um sie herum. Am Oberteil des Kleides war über dem Herzen ein weißer Blütenzweig befestigt.
    Vorsichtig ging sie den unebenen, mit Muscheln bestreuten Weg entlang. Warum trug sie eigentlich Schuhe mit so unpraktischen hohen und dünnen Absätzen? Eitelkeit konnte gefährlich sein. Als ob ihr Leben nicht schon gefährlich genug gewesen wäre! Sie musste unwillkürlich lachen.
    Es roch nach Regen, Kamelien, Jasmin, Magnolien und Dieselöl vom nahen Fluss. Sie stolperte über eine Vase mit künstlichen Blumen, sank auf die Knie und hielt sich an der Ecke eines Grabes fest, das im weichen Untergrund zu versinken drohte.
    In diesem Moment glaubte sie, ihren Namen wie einen Hauch zu hören … Mary Beth … Aber nein, das war nur das Rascheln des Windes in den Bäumen.
    Sie richtete sich wieder auf, wanderte weiter zwischen Gräbern hindurch und blieb manchmal stehen, wenn sie Schritte hinter sich vernahm. Doch sobald sie anhielt, hörte sie nur gedämpft den Verkehr auf der Basin Street und die traurigen Klänge eines Altsaxophons aus dem Franzöischen Viertel.
    Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Angst hielt sie gepackt. Gleichzeitig wurde sie von Vorfreude weitergetrieben.
    Sie fühlte, dass er sie beobachtete

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