Michael, der Finne
werden. Aber das Interdikt! Es würde den gehorsamen Dienern der Kirche große Härten verursachen, wenn sie ihrer rechtmäßigen Gebühren für die ihrer Herde erwiesenen Dienste beraubt würden. Mag sein, daß wir bald in große Not geraten.«
Wieder rieb sich Meister Laurentius die Hände, diesmal noch zufriedener.
»Weinen und Klagen nützen nichts. Wenn sich der Sturm zusammenballt, wird sich der weise Mann rasch entschließen, ob er Jüte oder Schwede, für oder gegen die Union, für oder gegen den Erzbischof sein will, und entsprechend handeln. Das nennt man Politik, und sie ist die größte aller Künste, denn früher oder später wird die Zugehörigkeit zu jeder der beiden Parteien zum selben Ende führen. Ein Mann mag sich entscheiden, wie er will, es muß der Augenblick kommen, der ihm ein Schwert in den Leib, eine Keule auf den Kopf oder einen Strick um den Hals bringt. Nur der Scharfrichter ist unparteiisch, denn seiner bedürfen sowohl der Jüte als auch der Schwede, die kirchlichen Richter ebensosehr wie die weltlichen. Er hat keinen Grund, über Zeiten zu klagen, in denen die größte Nachfrage nach ihm herrscht.«
Jungfer Pirjo setzte den silbernen Becher und den hölzernen Krug beiseite und bemerkte: »Behaltet solche angenehme Dinge für Euch, Meister Laurentius. Seht Ihr nicht, daß der Junge leichenblaß geworden ist und selbst dem einfältigen Andy die Haare zu Berge stehen? Wir sind wenigstens so glücklich, in Frieden zu leben, fern von den Ränkespielen und dem Gezänk der Vornehmen. Wir begnügen uns damit, Könige und Regenten zu ernennen oder abzusetzen, wie Stockholm verfügen mag. Den Leuten gilt es gleich, ob sie die Steuern dem Jüten oder dem Schweden zahlen, solange sie in Ruhe ihren Lebensunterhalt verdienen können. Wir in diesem mittellosen Lande sind glücklich; wir können zusehen und unsere Zeit abwarten, bis eine Partei siegt und wir uns entscheiden können, auf welche Seite wir uns schlagen sollen. Ich bin froh, daß Michael den Gänsekiel dem Schwert vorgezogen hat, denn wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen, wie die Heilige Schrift sagt.«
Meister Laurentius behauptet hartnäckig, daß die Welt sich geändert habe und jetzt ein Strich mit der Gänsefeder dem Scharfrichter mehr Arbeit verschaffen könne als Schwerterklirren und Büchsengeknall; allein ich war zu jung, um zu verstehen, was er meinte. Jungfer Pirjo stellte die Schüssel mit Haferbrei auf den Tisch und legte ein Stück Butter mitten darein. Wir bekreuzigten uns und langten zufrieden mit den Löffeln in die Schussel. Die Welt konnte nicht so schlecht sein, wenn arme Leute Haferbrei mit Butter zu essen hatten.
Allein mit den letzten Schiffen, die im Hafen anlangten, bevor die See zufror, kamen seltsame Nachrichten aus Deutschland. Man sprach von einem großen Aufruhr unter den Mönchen wegen eines gewissen Doktor Luther, der an eine Kirchentür in Wittenberg eine Liste von fünfundneunzig Thesen angeschlagen habe, darin er unter anderem den Ablaßhandel verdammte, womit er das weltliche Erbe des Heiligen Vaters als des einzigen Bewahrers der Schlüssel zum Himmelreich verdächtig machte. Doch erblickte ich in diesen Gerüchten nur den Beweis dafür, daß die Deutschen ein rastloses, unzufriedenes Volk seien, eine Tatsache, die ich bereits im Verkehr mit Meister Schwarzschwanz bemerkt hatte. Ich ließ mir nie träumen, daß ein vernünftiger Mensch die von der heiligen Kirche geoffenbarten Glaubensartikel bezweifeln konnte, die das Leben so einfach machten und der Menschheit viel unnötiges Denken ersparten.
ZWEITES BUCH
DIE VERSUCHUNG
1
An einem milden Tag im neuen Jahr schickte Magister Martinus seine Schüler heim und bat mich zu sich auf seine Zelle. Er setzte sich an seinen Tisch, rieb sich die schmale und stets tropfende Nase mit Daumen und Zeigefinger, sah mich forschend an und sprach feierlich: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Michael, mein Sohn, was willst du werden?«
Seine Worte trafen mich ins Herz. Ich fiel weinend vor ihm auf die Knie und antwortete: »Pater Martin, meine innigste Hoffnung war stets, mich dem Dienst der heiligen Kirche zu widmen, und es fiel mir wie Wermutstropfen auf die Seele, daß viele, die ihre ersten Lektionen bei mir erlernten, heute Priester sind und die Tonsur tragen. Zwar bin ich jünger als diese meine Kameraden, so glaube ich wenigstens, aber ich bin bereit, Tag und Nacht in heißem Bemühen mein Wissen zu erweitern.
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