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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Schneider über seinen Glauben.
    Der redete ununterbrochen auf dem ganzen Weg, so rasch er Atem schöpfen konnte, und sagte unter anderem: »Mein Meister ist Thomas Müntzer, der jetzt zu Mühlhausen eine Gemeinde der Auserwählten gründet, was er schon an vielen Orten, darunter in der Eidgenossenschaft, getan hat, obwohl er überall vertrieben und ob seines Glaubens grausam verfolgt worden ist. Er ist noch nicht fünfunddreißig Jahre, hat aber schon an vielen Universitäten studiert, spricht griechisch und hebräisch und weiß die Bibel auswendig. In seiner Jugend galt er als der fleißigste Gelehrte Deutschlands. Aber Gott gönnte ihm keine Ruhe, und er hielt es nirgends lange aus. Er wurde Lehrer, Prediger und Beichtvater an vielen Konventen, bis ihm Gottes Wort aus dem Munde eines unwissenden Webers, der die göttliche Gnade empfangen hatte, zuteil wurde. Von da an legte mein Meister all seine akademischen Würden und Titel ab und wurde ein Diener Gottes und der Verkünder des Evangeliums vom Kreuz.«
    Als er innehielt, um Atem zu schöpfen, bemerkte ich, auch Luther bringe die Botschaft vom Kreuz. Das aber erzürnte ihn, und er fuhr fort: »Luther wählte den leichten Weg. Aber der Glaube allein gewährt noch nicht die Aufnahme in die Gemeinschaft der Seligen. Der Mensch muß das Kreuz tragen, das Gott ihm auferlegt hat – er muß es tragen, bis sein Herz und seine Seele demütig geworden sind und er nur mehr Mensch ist, bar aller Eitelkeit und allen Stolzes. Und diesem Menschen haucht Gott seinen heiligen Atem ein, und er wird eins mit dem Seligen und Gott spricht aus ihm. Da der Weg beschwerlich ist, ist die Zahl der Auserwählten gering; aber sie sind das Salz der Erde, und der Herr wird ihnen die Gottlosen ausliefern. Ich erkenne in unserer Rettung ein Zeichen vom Himmel – Gottes Finger, der auch auf Euch als seine Auserwählten weist. Daher flehe ich Euch an, kommt mit mir nach Mühlhausen und werdet Jünger meines Meisters. Ihr seid beide starke Männer und kräftiger gebaut als ich, und ich fürchte das Reisen in diesen unruhigen Zeiten, besonders nachts. Gott muß Euch als meine Gefährten und Beschützer gesandt haben.«
    Der Abend brach herein, und Andy fand, wir seien nun in sicherer Entfernung von Leipheim. So warfen wir uns mitten im Wald erschöpft nieder. Wir teilten ein Stück Brot untereinander, das Andy in seinem Ränzel fand, und einen Käse, den der Schneider aus seinem Bettelsack hervorholte. Wir aßen jeder ein paar Bissen und brachten sogar ein Feuer zustande, daran wir unsere Kleider trockneten. Dann legten wir uns nebeneinander zur Ruhe, um uns in der kühlen Nacht warmzuhalten.
    Am nächsten Morgen mußten wir uns entschließen, wohin wir wollten, denn es ist beschwerlich, ziellos dahinzuwandern. Andy war dafür, nach Frankreich zurückzukehren. Als wir aber die Straße wieder erreicht hatten und die Umgebung klar übersehen konnten, besann er sich angesichts des Kanonendonners und der dicken Rauchsäulen am westlichen Horizont eines Besseren und hielt es für klüger, mit Jakob dem Schneider weiterzuziehen.
    So wanderten wir denn weiter wie die Kinder Israels in der Wüste, denn am Tage wiesen uns die Rauchsäulen, bei Nacht die Feuersäulen von brennenden Schlössern und Herrenhäusern den Weg. Bald konnten wir uns wieder tüchtig satt essen, und ich verschlang so viel fettes Hammelfleisch, daß ich daran für mein Leben genug hatte. Ich konnte bald kein Schaf mehr sehen, denn damals gab es riesige Schafherden in Thüringen. Für Madame Geneviève trieben wir schöne Kleider auf, und sie glich nun nicht mehr einem arg mitgenommenen Troßweib, als wir nach zwei Wochen ungestörter Wanderschaft in der guten Stadt Mühlhausen anlangten.

ACHTES BUCH
DAS REGENBOGENBANNER
1
    Mühlhausen war eine große Stadt, eine der größten Deutschlands, denn es hatte mehr als siebentausend Einwohner, mehr als innerhalb der Stadtmauern Platz fanden. Die Ärmeren hatten sich in fünf Vorstädten außerhalb der Stadt niedergelassen; dadurch war Mühlhausen doppelt so groß wie etwa Leipzig oder Dresden, die als große Städte galten.
    Als wir anlangten, waren die Straßen gedrängt voll. Ich sah viele zertrümmerte Türen und Fensterläden, und an allen Straßenecken standen Gruppen in erhitztem Gespräch über die göttliche Gnade, das Evangelium, die Spendung der Sakramente und das Kreuz, das reich und arm gleichermaßen zu tragen hätten. Obwohl die Stadt überfüllt war, verschafften uns Geld

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