Michael, der Finne
»Schlagt zu!«, so sei es ihre Pflicht, zuzuschlagen. Heiße er sie jedoch abwarten, so müßten sie sich damit begnügen. Sie müßten klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben sein, bis zu dem Tag, da Gott die Schale seines Zornes über die Gottlosen ausgießen würde. Gott aber erwählte seine Diener selbst, weshalb niemand ohne Prüfung seinem Bunde beitreten könne; während dieser Probezeit aber müsse einer seinen Glauben beweisen und seine eigenen Wünsche unterdrücken, auf daß er als würdiges Gefäß des göttlichen Willens befunden werde.
Während Müntzers Predigt erhob sich ein Seufzen und Stöhnen unter der Gemeinde. Viele wackere Männer vergossen Tränen und meinten, die Bedingungen wären hart und Luther führe seine Anhänger weniger mühsam zur Seligkeit. Aber die Geretteten hießen die Zweifler und Kleinmütigen schweigen. Müntzer rief mit erhobener Stimme, jetzt sei keine Zeit zum Heulen und Zähneknirschen; sie sollten lieber frohlocken, denn der Herr werde die Gottlosen seinen Dienern ausliefern und ihre Reichtümer unter sie verteilen – Reichtümer, die nichts anderes seien als der Schweiß und das Blut der Armen. Man solle sich männiglich gegen Satans Ränke wappnen, in die Heerschar der Gläubigen treten und mit ihnen die Statthalterschaft im Reiche Gottes antreten, das bald in seiner ganzen Herrlichkeit auf diese Welt herabkommen werde.
Er stieg von der Kanzel, wischte sich den Schweiß von der Stirn und lauschte den freudigen Zurufen der Menge; seine dunklen Schlitzaugen blickten nüchtern über die Köpfe hin.
Mehrmals erhob er vergeblich die Hand, um Ruhe zu schaffen für Oberst Pfeiffer, der über den langanhaltenden Beifall keineswegs erbaut war. Aber das mürrische Wesen dieses Mannes war wie weggeblasen, als er die Kanzel bestieg; mit gewinnendem Lächeln quittierte er die Begrüßungsrufe und das Gelächter der Gemeinde. Er war offenbar ihr Liebling und von derbem Humor, denn er unterhielt sie auf ihre eigene rauhe Art, und sein Biergesicht strahlte vor Kameradschaft. Seine Reden will ich nicht wiederholen, denn er sagte nichtiges Zeug und gebrauchte Aussprüche, die einem anständigen Mann nicht geziemen, obschon auch Luther selbst bisweilen unflätige Worte verwendete. Ich erkannte bald, daß er die Gläubigen in einem Kreuzzug gegen die Nachbarstädte führen wollte, und er erklärte, die Truppen der Fürsten seien nicht zu fürchten, da sie untereinander uneins seien und ihnen der Schrecken in allen Gliedern säße.
Sein Humor und seine Zuversicht wirkten nach Thomas Müntzers stahlharten Worten befreiend. Immer mehr Gläubige scharten sich um ihn und riefen, sie wollten unter seinem Banner ausziehen. Ich bemerkte jedoch, daß dieser freudige Aufruhr Thomas Müntzer keineswegs behagte; ab und zu war es, als wolle er Pfeiffer von der Kanzel holen. Als dessen Ansprache zu Ende war und die Leute aus der Kirche strömten, entschlossen, gleich morgen zu einem gewinnbringenden und nicht allzu beschwerlichen Feldzug aufzubrechen, erwischte Thomas Müntzer den Feldhauptmann am Kragen und schleppte ihn in die Sakristei. Als die Gemeinde sich allmählich verlief, erblickte ich Jakob den Schneider, der anscheinend nach mir Ausschau hielt, und bahnte mir einen Weg zu ihm. Er schien erleichtert, daß Madame Geneviève nicht mitgekommen war, und führte mich zu seinem Meister, der mich über die Schlacht bei Leipheim befragen wollte, daraus wir vier auf so wundersame Weise entkommen waren.
So stand ich endlich Thomas Müntzer von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er reichte mir nicht die Hand, sondern maß mich nur mit seinen schrägen zornigen Augen. Mir schlotterten die Knie, als ich meiner Sünden gedachte und mich fragte, wodurch ich ihm etwa mißfallen hatte; allein ich merkte bald, daß seine Wut Pfeiffer galt, der beschämt abseits stand und an seinem Schwert fingerte. Während unseres ganzen Gesprächs ersann Thomas Müntzer immer kräftigere Schimpfwörter, die er aus dem Mundwinkel nach Pfeiffer schleuderte, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Das machte unsere Unterhaltung etwas verwirrend.
Ich erzählte ihm alles, was ich von den Ereignissen zu Baltringen und anderswo wußte, und gab meine Meinung dahin kund, daß von Truchseß die schwäbischen Bauern mit Leichtigkeit und ohne Verluste, wie bei Leipheim, schlagen würde.
Mein Bericht über diese düsteren und blutigen Ereignisse verfehlte seine Wirkung auf Thomas Müntzer; ja, er wurde ruhiger dabei und
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