Michael, der Finne
und gute Worte Quartier in einer Taverne. Jakob der Schneider hatte es eilig, zu seinem Weibe heimzukommen, schärfte uns aber ein, wir sollten nach dem Essen den Abendgottesdienst in der Kirche besuchen, damit er uns Thomas Müntzer und dessen Feldhauptmann Heinrich Pfeiffer vorstellen könne.
Ich lud Madame Geneviève und Andy ein, mit mir zu kommen; Andy aber erklärte, er sei müde und wolle nicht zur Empörung der Gläubigen in der Kirche einschlafen, während Madame Geneviève den Wunsch verlauten ließ, sich zu waschen und die Gewänder anzulegen, die wir unterwegs für sie besorgt hatten. So mußte ich wohl oder übel allein gehen. An der Kirche angelangt, konnte ich sie jedoch kaum betreten, weil sich die Menschen drinnen stauten.
Über dem Altar hing ein riesiges Banner – dreißig Ellen schwerer weißer Seide, in den Farben des Regenbogens, darauf die lateinische Inschrift: DAS WORT GOTTES IST EWIG. Ich vergaß jedoch das Banner über meinem brennenden Wunsch, Thomas Müntzer zu sehen. Auf den ersten Blick freilich dünkte er mich ein unbedeutender Mensch. Er war um Haupteslänge kleiner als ich; Nase und Mund waren ohne Schwung, das Kinn klein, die Wangen gelblich wie die eines Gallenkranken oder eines Ausländers, welcher Eindruck durch seine mandelförmigen Augen noch erhöht wurde. Sein Gesicht gemahnte mich, besonders während der Predigt, seltsam an ein aufgescheuchtes Schwein.
Als er aber zu sprechen anhub, vergaß ich sein Äußeres und stand ganz im Banne seiner Augen, in denen ein ungewöhnliches Feuer leuchtete. Ich habe nie eine so eindringliche, so unwiderstehliche Predigt gehört wie diese von Thomas Müntzer. Sein ganzes Wesen war von so unerschütterlicher Überzeugung entflammt, daß man gar wohl meinen konnte, der Heilige Geist wohne darin. Er stieß keine verrückten Schreie aus wie jene zerlumpten Wanderprediger, die jahrelang das Land durchzogen und den neuen Glauben verkündet hatten. Ob er seine Stimme hob oder senkte, man konnte selbst in den hintersten Winkeln der Kirche jede Silbe klar vernehmen.
Er erinnerte die Gemeinde zunächst an seine eigenen Leiden und an das Kreuz, das ihn zu Boden gedrückt und so erlöst hatte, das Wort Gottes zu empfangen und zu offenbaren. Nicht er sei es, der da predige, meinte er bescheiden, sondern Gott spreche durch ihn und tue dem Volke seinen Willen kund; niemand brauche im Dunkel der Unwissenheit zu tappen oder zur Bibel seine Zuflucht zu nehmen. Jeder, der für Müntzer und seine Anhänger nur taube Ohren habe oder sie verlache oder sonstwie die beleidige, die sich verbunden hätten, Gottes Absichten zu verwirklichen, mache sich selbst zum Märtyrer Satans und würde sein eigener Henker sein; denn es komme der Tag des Herrn, da alle Gottlosen vernichtet werden sollten.
Thomas Müntzer sehen und hören hieß, ihm glauben, obgleich ich die Macht, die er ausübte, nicht erklären kann. Nachdem er eine Stunde lang dieselben Worte und Wendungen wiederholt hatte, wandte er sich einem neuen Gegenstand zu. Gott habe ihm seine Absichten in vier Prinzipien offenbart. Erstens dürfe das Wort Gottes von jedermann frei und unbehindert ausgelegt werden, die Zungen der Gottlosen aber müßten zum Schweigen gebracht werden. Zweitens sollten Holz, Fische, Geflügel und Wild, Wiesen und Weiden allen gehören. Drittens müsse der Adel seine Festungen und Burgen schleifen, seine Titel ablegen und Gott allein die Ehre geben. Viertens – und das war mir neu – sollten die Adeligen dafür die Besitzungen der Kirche benützen dürfen und alle Güter, die sie aus Geldmangel zur Deckung von Anleihen hätten verpfänden müssen, ihnen frei zurückerstattet werden.
Bei diesem letzten Punkt lief ein erstauntes Gemurmel durch die Kirche; Thomas Müntzer aber schlug mit beiden Fäusten auf die Kanzel, erhob sich auf die Zehenspitzen und rief, der Herr in seiner Gnade wünsche, die Fürsten sollten sich ihm aus freien Stücken unterwerfen und nicht zum Blutvergießen angestachelt werden.
Nachdem er etwa zwei Stunden über diese Prinzipien gesprochen hatte, steigerte er sich in einen Rausch der Begeisterung und rief alle Anwesenden auf, ihre Herzen zu demütigen und sich bescheiden in einem Bund ewiger Einheit mit dem göttlichen Willen um sein Banner zu scharen. In diesem Bund sei aller Besitz Gemeingut, und jedes Mitglied müsse sich in blindem Gehorsam Gottes Willen unterwerfen, wie er von Zeit zu Zeit durch Thomas Müntzer geoffenbart werde. Wenn er sage:
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