Michael, der Finne
ausgebrannten Gehöfte kreisten die Krähen. Die hageren Weiber und verschreckten Kinder, denen wir begegneten, wollten nicht zu uns sprechen, und in den Dörfern, die verschont geblieben waren, war Essen schwer aufzutreiben. Dreimal sahen wir Galgen mit Leichen daran, deren Lumpen, die sie am Leibe trugen, verrieten, daß sie Priester gewesen waren. Und die Bauern, die wir trafen, verfluchten Luther, der lediglich erreicht hatte, daß die Fürsten und Prälaten anmaßender als zuvor und die Bauern noch weit hungriger geworden waren.
So beeilten wir uns, so gut wir konnten. In Baltringen besuchten wir die ehrsame Witwe, die uns längst für tot gehalten hatte. Mir fehlen die Worte, das Entzücken meines Hundes über meine Rückkehr zu beschreiben. Er sprang an mir empor, leckte mir die Hände und hetzte wie von Sinnen in der Stube herum, wobei er in seiner Freude gegen Tische und Bänke stieß. Sein Fell war nun dick und glänzend; er war so feist wie ein Ferkel. Die Witwe sagte mir, sie habe ihn gefüttert, so gut sie konnte; ja, sie habe ihn so liebgewonnen, daß sie ihn ungern verlieren würde.
Das machte mich traurig, und ich beschloß, Rael selbst zwischen der vollen Schüssel in der warmen Ecke am Kamin und den Entbehrungen einer Reise mit mir wählen zu lassen. Als ich ihn auf der Schwelle verlassen hatte, damit die Witwe ihn mit einem saftigen Knochen ins Haus locke, kläffte er zum Abschied, leckte ihr die Hände, schnappte den Knochen und lief uns nach. Andy erklärte Rael für einen weisen und klugen Hund, der seinen eigenen Proviant mitgebracht habe.
So langten wir fröhlich in Memmingen an, wo ich stracks nach dem Rathaus ging und die steile, düstere Treppe zu meinem alten Heim hinabstieg. Der Gerichtsdiener und sein pockennarbiges Weib wohnten immer noch dort, waren aber gar nicht erbaut, als sie meiner ansichtig wurden, da sie gehofft hatten, in den Besitz meiner Truhe zu gelangen, ja sogar schon öffentlich hatten kundmachen lassen, wenn sie nicht binnen Jahr und Tag abgeholt würde, sei sie verfallen. Sie jammerten über ihre Armut und die schweren Zeiten; als ich jedoch meine Truhe öffnete, fand ich alles in guter Ordnung vor.
Nur ungern verkaufte ich Meisters Fuchs’ Pelzmantel und alles andere bis auf etwas Wäsche, schöne Spitzen und den Silberbecher. Von dem Erlös ließ ich eine Seelenmesse für Meister Fuchs lesen – obwohl ich an solche Dinge nur mehr wenig glaubte –, ließ den Armen im Hause Zum Heiligen Geist Spenden zukommen und entlohnte den Gerichtsdiener für seine Sorge um meine Truhe. Als ich endlich noch gewisse Schulden an Andy beglichen hatte, blieben mir noch gute hundert Gulden im Beutel. Es schien mir nun unter meiner Würde, zu Fuß zu gehen, und ich mietete für die nächste Strecke unserer Reise an jeder Poststation ein neues Pferd. Andy schritt daneben fürbaß, die Hand am Steigbügel, und wenn Rael müde wurde, setzte ich ihn vor mich in den Sattel. So kamen wir rascher vorwärts. Binnen weniger Tage erreichten wir Lindau, wo der Kaiser sein Zeughaus hatte, und fuhren von dort über den großen See auf Schweizer Boden, in die Freiheit.
Nun wanderten wir auf den »großen Zaun« zu, und rings um uns ragten hohe, bläulichweiß schimmernde Gipfel empor. Das muß wirklich der höchste Zaun sein, den Gott je errichtet hat. Sein Anblick benahm uns den Atem und flößte uns Furcht ein, und wir hielten es für unmöglich, daß armselige Sterbliche einen solchen Grenzwall überwinden konnten.
Und doch schafften wir es, zu meinem Erstaunen, zusammen mit einigen Kaufleuten, obwohl wir nachts bittere Kälte litten. Auf den Paßhöhen heulten entsetzliche Winde, und oft mußten wir helfen, die Felsklötze beiseite zu schaffen, welche die Hänge herabgerollt waren und die Straße versperrten. Rael wurde schlank und konnte nun wieder weit laufen, ohne zu keuchen. Ich habe wohl nie so reine, belebende Luft geatmet. Ich verstand nun gar wohl, daß selbst die Kaiser dies Volk nie hatten unterwerfen können, obwohl ihre Länder es von allen Seiten einschlossen. Dies Land ist wie geschaffen für zähe und ausdauernde Menschen, die weder schwindelnde Höhen noch einen jähen Tod fürchten.
Aus der belebenden Luft der Alpen stiegen wir an einem einzigen Tag in die drückende Julihitze Italiens hinab. Das Städtchen, wo wir nächtigten, stank von faulendem Gemüse und Unrat. Seine kleinen, dunkelhäutigen Einwohner drängten sich kreischend, schreiend und mit den Armen fuchtelnd
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