Michael, der Finne
finden, und nahm ihm eine Goldnadel aus dem Hemd. Und nun bemerkten wir etwas Sonderbares. Seiner Börse nicht achtend, hielt der Jüngling noch im Tode ein langes, lederüberzogenes, rundes Futteral an die Brust gedrückt.
»Das soll mein Marschallstab sein, denn ich sehe drei gold’ne Lilien darauf eingepreßt«, sagte Andy und löste die Finger des Toten. »Das heißt, wenn der französische König mich je zum Oberbefehlshaber seines Heeres machen sollte.«
Er steckte das Futteral in die Brusttasche, als gehöre es ihm, und wir verließen eilig den Wald und setzten unseren Weg nach Süden fort. Wir wanderten, solange der Mond schien, und als er unterging, machten wir halt, aßen und schliefen unter einigen Bäumen nahe einer Quelle. Wir wagten nicht, ein Feuer anzufachen, da wir damals schon wußten man würde uns hängen, wenn man uns entdeckte; denn wer würde unsere Geschichte glauben?
Wir erwachten bei hellem Sonnenschein und untersuchten unsere Beute. Die goldgestickte, perlenbesetzte Börse mußte allein zwei Dukaten wert sein; während ich das Gold darin klingeln ließ, um Andy zu necken, löste er den Riemen an seinem roten Lederfutteral und zog einen eisernen Zylinder mit einem Schlüsselloch daraus hervor.
In das Leder waren die Lilien Frankreichs und das Wappen des französischen Königs eingepreßt, und Andy sagte plötzlich: »Ich weiß, was das ist: ein Depeschenfutteral vom französischen Hof! Ich habe derlei schon früher gesehen; niemand hat den Schlüssel dazu, nur der Siegelbewahrer und die Gesandten Seiner Majestät in fremden Ländern.«
Das jagte mir große Furcht ein, so daß ich eine Münze fallen ließ und sie lange suchen mußte.
Als ich sie gefunden hatte, sagte ich: »Wir wollen das Ding sogleich vergraben und uns aus dem Staub machen, denn niemand beraubt ungestraft die königliche Post, und jene Kerle wußten kaum, was sie taten, als sie Hand an einen Boten des Königs legten.«
Andy war aber entschlossen, herauszufinden, was in der Röhre so Wichtiges stecken mochte, und mühte sich eine ganze Stunde, sie mit Gewalt zu öffnen. Als ihm dies aber endlich gelungen war, wurde er enttäuscht, denn statt des erhofften Goldes fand er nur einige versiegelte Briefe, die an die französische Königinmutter zu Lyon gerichtet waren. Damals verwaltete die Königin die Angelegenheiten des Staates für ihren gefangenen Sohn. Mit einem Fluch warf Andy die Papiere beiseite. Da aber die Röhre einmal wohl oder übel erbrochen war, packte mich eine verhängnisvolle Neugier und der Wunsch, etwas von der Weltpolitik zu erfahren. Ich gebe zu, daß es ein Vergehen war, und kann zu meiner Entschuldigung nur anführen, daß ich mir nicht träumen ließ, in welch furchtbare Dinge diese Tat mich verwickeln sollte. Abermals möchte ich betonen, daß die Briefe mir durch einen seltsamen Zufall in die Hände gerieten und es nie meine Absicht war, sie in meinen Besitz zu bringen.
Ich erbrach also die Siegel und begann die französisch abgefaßten Depeschen zu lesen. Die längste stammte von Graf Alberto Pio, dem französischen Gesandten an der Kurie zu Rom, und wies seinen Sekretär Sigismundo di Carpi an, in Venedig gewisse Verhandlungen durchzusetzen und dann den Brief an die Königinmutter weiterzugeben. Der zweite Brief stammte von dem erwähnten Sigismundo de Carpi, der erklärte, er habe die Depeschen seinem eigenen Sekretär, Sismondo Santi, anvertraut. Er bestätigte, daß die Signoria der großen Republik soeben ein Heer ausrüste und er selbst in die Schweiz eile, um zehntausend Soldaten anzuwerben. Auch ein Brief von der Signoria war dabei, den ich nicht lesen konnte, da er italienisch geschrieben war. Nun müsse, so schrieb Graf Alberto Pio, die Königin nur noch den Bündnisvertrag unterzeichnen. Wenn Seine Heiligkeit Papst Clemens VII. den empfangen habe, sei er bereit, seine Truppen und die von Florenz gegen das Königreich Neapel zu schicken.
Es dauerte einige Zeit, bis ich die Bedeutung all dessen erfaßte, denn ich hatte mich wie alle Welt in dem Glauben an einen dauernden Frieden gewiegt. Im Lesen aber stieß ich nun laute Rufe aus und betete um Hilfe, das Gelesene zu verstehen. Ich erkannte bald, diese Briefe würden mich das Leben kosten, wenn ich venezianisches, Mailänder, florentinisches, päpstliches oder französisches Gebiet beträte, enthielten sie doch nichts Geringeres als eine ungeheuerliche Verschwörung gegen den Kaiser und den Weltfrieden. Hinter dem Bündnis stand
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