Michael, der Finne
Reisekoffer traf mit dem guten Kölner Kaufmann ein; ich warf mich in meine stattlichsten Gewänder und sprach kühn beim Quästor der Alemannischen Nation vor, um mich von ihm über meinen Studiengang beraten zu lassen. Dieser jugendliche Gelehrte tadelte mich vorerst streng, weil ich ein halbes Semester vergeudet hatte, doch als er Bischof Arvids Empfehlungsbrief gelesen hatte, räumte er ein, daß ich eine lange und beschwerliche Reise hinter mir hatte. Der Brief und mein gefälliges Äußeres mußten ihn zu dem Glauben verleitet haben, ich sei reich, denn er fragte sogleich, ob ich meinen Präzeptor zu bezahlen gedächte. Grundsätzlich, so erklärte er mir, werde aller Unterricht unentgeltlich erteilt. Doch sei es klar, daß die unbezahlten Magister der Artistenfakultät sich Schülern, die ihnen Geschenke machen könnten, eifriger widmen würden. Er sei Holländer von Geburt und könne mir auch gleich einen holländischen Präzeptor verraten, einen gewissen Magister Pieter Monk, der augenblicklich nur wenige Hörer habe und unter dessen Anleitung ich daher außergewöhnlich rasche Fortschritte in der Vorbereitung auf das Examen machen sollte. Er gab mir Magister Monks Anschrift in der Rue de la Harpe und seinen Segen.
Es war ein Glück, daß ich so klare Weisungen erhalten hatte, denn ich hatte den Quästor kaum verlassen, als mich im Vorraum zwei Männer, das Barett der Magister auf dem Kopf und gefolgt von einer Schar Studenten, überfielen und geräuschvoll ihre eigenen Verdienste und die ihrer Präzeptoren anpreisen. Als ich ihnen mitteilte, ich sei zu Magister Monk unterwegs, warnten sie mich einstimmig vor ihm und ziehen ihn der übelsten Eigenschaften, wie der Trunkenheit, der Völlerei, ja selbst der Ketzerei, so daß ich meiner Begegnung mit ihm beinahe ängstlich entgegensah. Dennoch vertraute ich dem Wort des Quästors mehr als diesen aufdringlichen Werbern.
Die Rue de la Harpe lag nicht weit vom Fluß und der Schenke, wo ich immer noch wohnte. Ich eilte in mein Quartier und legte meine schlichten Reisekleider wieder an; nur meine guten Schuhe behielt ich an den Füßen; ich wollte nämlich dem Magister keine übertriebene Meinung von meinem Reichtum einflößen. Der Gelehrte wohnte im Hause eines Graveurs; es war eng und hatte mehrere Stockwerke. Der Graveur wies mir die oberste Treppe im dunklen Stiegenhaus, und endlich fand ich in einem kalten, schmutzigen Kämmerlein den Gelehrten, der an einem wackeligen Tisch schrieb. Er war jung, bleich und halb verhungert und trug sein Barett und seine ganze Garderobe mehr um sich zu wärmen, als um seine Würde zu betonen. Er blickte mich aus müden Augen forschend an. Aufrichtig und ehrerbietig legte ich ihm mein Anliegen vor, wies auf meinen Wissensdurst und meine schmale Barschaft hin und versprach, ihm gehorsam und treu zu dienen, wenn er mich als Schüler annähme.
»In diesen harten Zeiten, Michael«, erwiderte er, »ist die Königin der Wissenschaften eine böse Stiefmutter geworden, die ihren Kindern oft statt Brot Steine reicht. Ich bin erst fünfundzwanzig, doch habe ich schon Steine gekaut, daß mich die Zähne schmerzen. Offen gesagt, ich habe erst im Vorjahr meine licentia docendi erworben. ›Gestern Bakkalaureus, heute Magister, morgen Doktor‹ heißt das Sprichwort. Aber diese Tage sind so lang wie Jahre und erfüllt von unaufhörlichen Ängsten, Kämpfen und geistigem Ringen. Im Winter friert man, im Sommer atmet man den üblen Gestank der Straßen. Schlechtes Essen und faule Eier sind das Erbe der Gelehrsamkeit, und der einzige Lohn des Fleißigen sind hohle Zähne und ein auf Lebenszeit verdorbener Magen. Doch sehe ich aus dem Blick deiner Augen, daß dich die Sehnsucht nach der Wissenschaft erfüllt und du vor schwerer Arbeit, schlaflosen Nächten und sorgenvollen Tagen nicht zurückschrecken wirst. Soweit die Warnung, die ich dir erteilen will. Ich will mein Bestes tun, deine Studien entsprechend deinen Mitteln zu fördern.«
Er prüfte mich dann eine Stunde lang eingehend, so daß mir nachher zumute war, als hätte er mich wie einen Handschuh umgestülpt und wisse nun mehr von meinen Kenntnissen als ich selber.
Doch er meinte kopfschüttelnd: »Michael, mein Sohn, du lernst leicht und bist in der aristotelischen Logik wohlerfahren. Allein dein Wortschatz ist veraltet, dein Wissen eignet sich besser für einen Mann der Kirche als für einen Gelehrten. Es liegt auf der Hand, daß dir neue Bücher und Kommentare noch nie zugänglich
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