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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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waren. Doch wenn du meine Vormittagsvorlesungen regelmäßig besuchst und jede Woche den Disputationen beiwohnst, können wir vielleicht noch heuer so weit kommen, daß du deine Thesen wählen und sie in der Disputation mit meinen anderen Schülern verteidigen kannst. Ich zweifle nicht, daß du nach einem Jahr eifrigen Studiums es wagen kannst, vor den ernannten Examinatoren zu erscheinen, um das Bakkalaureat zu erwerben. So viel will ich dir versprechen, obwohl mein eigenes Fortkommen von deinem abhängt, weil man ja einen Lehrer nach seinen Schülern beurteilt.« Er hieß mich, am folgenden Morgen nach der Messe zur Kirche St. Julien le Pauvre zu kommen, und setzte zögernd hinzu: »Michael, es ist üblich, daß ein Schüler seinem Lehrer ein seinen Mitteln angemessenes Geschenk macht. Ich habe nicht die Absicht, dich zu berauben, aber ich habe, offen gesagt, heute nichts zu essen, bis der Drucker mir die Bogen, die ich hier korrigiere, bezahlt hat; und dein Kommen hat meine Arbeit unterbrochen.«
    Er zeigte mir das Manuskript und die noch druckfeuchten Bogen. Es war eine Flugschrift eines ungarischen Gelehrten; eine grausige Schilderung der Gefahr, die der gesamten Christenheit seit dem Vorjahr drohte, als der grausame, blutdürstige türkische Sultan Selim Ägypten eroberte und die Handelsstraßen nach Indien in seine Gewalt bekam. Selim hatte sich den ganzen Orient unterworfen und konnte nun seine Kräfte zum Sturz des Christentums sammeln. Magister Monk begann in einiger Verlegenheit mir den Inhalt der Schrift zu erklären, um mir Zeit zur Überlegung zu lassen, wieviel ich aufwenden konnte.
    Ich kämpfte einen harten Kampf mit mir selbst und konnte dabei wenig auf seine Worte achten, doch schließlich reichte ich ihm eine meiner wenigen Goldmünzen, einen vollgewichtigen rheinischen Gulden.
    »Magister Pieter, mein guter Präzeptor«, sprach ich freimütig, »nehmt hin, solange ich noch Geld besitze, denn das ist gewiß das Beste und Klügste, was ich damit anfangen kann. Will’s Gott, so wird es mir reiche Zinsen tragen. Dafür bitt ich Euch, der Ihr selbst Not gelitten habt, mich zu beraten, wie ich am billigsten essen und wohnen kann, und mir vielleicht ab und zu das eine oder andere Eurer Bücher zu leihen. Denn mein Hunger nach Büchern ist größer als mein leiblicher Hunger, und ich schwöre, sie wie meinen Augapfel zu hüten.«
    Magister Monk wurde dunkelrot im Gesicht und machte viele Ausflüchte, bevor er schließlich meinen Gulden nahm. In mir festigte sich mehr und mehr die Überzeugung, daß ich unter allen gelehrten Raben, die sich auf neue Studenten wie auf eine Beute stürzten, einen guten und ehrenhaften Präzeptor gefunden hatte. Er versprach mir, ich könne seine Bücher nach Belieben entlehnen, ja sie selbst auf seiner Stube lesen, wenn ich keinen anderen ruhigen Ort dafür fände. Es zeigte sich, daß viele seiner Schüler im selben Hause wohnten, da der Graveur seine Stuben an Studenten vermietete. Der Magister war froh, sie auf diese Weise um sich versammelt zu haben, denn er hatte im Gegensatz zu seinen älteren Kollegen keinen bestimmten Hörsaal.
    »In der Jugend begnügt sich ein Mensch mit wenigem und versagt sich gern manches, doch diese Selbstzucht hat eine Grenze, die man nicht ohne gesundheitlichen Schaden überschreitet. So mancher Gelehrte muß für die Nöte und Härten seiner Jugend mit lebenslangem Leiden und einem frühen Tod bezahlen. Der Winter steht vor der Tür, Michael, und daher brauchst du wenigstens einen Teller heiße Suppe täglich. Ich will sehen, ob nicht drei oder vier meiner Schüler bereit sind, ihre Kammer mit dir zu teilen; sie würde dadurch billiger und zugleich wärmer – denn im Winter ist es am besten, wenn viele in einer Kammer schlafen. Du mußt auch auf deine Gesundheit achten, und wenn es ganz schlimm kommt und dein Geld früher, als du erwartest, zur Neige gehen sollte, so werden wir wohl Mittel finden, dir zu helfen, da ich mich von nun an für dein Wohlergehen verantwortlich fühle.«
3
    So begann einer der glücklichsten Abschnitte meines Lebens, denn ich war noch jung und reinen Herzens und hatte eine strenge und heilsame Warnung vor weltlicher Versuchung erhalten. Das unendliche Reich der Wissenschaft tat sich mir auf, und mir standen nun als freiem Studenten Tore offen, durch die wenige auch nur einen verstohlenen Blick erhaschen konnten. Mich berauschte das Gefühl, daß dem Menschengeist keine Grenzen gezogen und Wissen die höchste

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