Michael, der Finne
wegsah.«
»Andy!« rief ich. »Ehebruch ist eine Todsünde. Ich hätte nie gedacht, daß du so verworfen sein könntest.«
Doch er entgegnete in beleidigtem Ton: »Wie hätte ich das wissen können? Ich bin ein gehorsamer Bursche und tue, was man mir sagt. Unglückseligerweise überraschte mich der Wirt, als ich dem Befehl seines Weibes gehorchte; was blieb mir anderes übrig, als ihn in denselben Backtrog zu stecken, aus dem ich ihn einst befreite? Und er geriet, obwohl er ein klapperdürrer kleiner Kerl ist, in so blinde Wut, daß ich ein Faß gesalzenes Fleisch auf den Deckel des Trogs stellen mußte. Darüber erboste er sich noch mehr, und kaum war er wieder draußen, entlehnte er vom Stadtrat eine Flinte, ›um Fremdlinge am Pflügen und Säen in seinem Acker zu hindern‹, wie er es nannte, und ich mußte mich rar machen. Sein Weib gab mir mit Tränen in den Augen einen wohlgefüllten Ranzen, so daß ich auf See nicht verhungern werde. Und an Land kann ein starker Mann immer sein Auskommen finden.«
Ich ließ ab, ihm Vorwürfe zu machen, denn das Geschehene war nicht wiedergutzumachen, und am klügsten war es nun, an die Zukunft zu denken. Ich konnte nur staunen, wie wundersam unsere Schicksale miteinander verkettet waren. Am selben Tag, und vielleicht zur selben Stunde, war Andy dem Tode so nahe gewesen wie ich vor Herrn Didriks Klinge. Es schien in der Tat in der Absicht unseres Schöpfers zu liegen, daß wir zusammen reisten. Wir besiegelten dies Übereinkommen mit einem Händedruck, doch konnten wir beide nicht voraussehen, wie unzertrennlich und wie lange uns dieser Pakt aneinanderbinden sollte.
2
Von der Reise will ich nur sagen, daß wir in den folgenden drei Wochen zweimal in Stürme gerieten – welche die Matrosen leichte Böen nannten – und daß wir zwar andere Schiffe sichteten, doch keinen Piraten begegneten, von denen es zwischen Gotland und Ösel wimmeln sollte. Daher legten wir rechtzeitig und wohlbehalten in Lübeck an.
Herr Didrik, nun wieder voll Liebenswürdigkeit, versuchte mich zu bewegen, mit ihm nach Kopenhagen weiterzureisen, und versprach mir mit schönen Worten Ehre, Reichtum und die Gunst König Christians. Doch ich war gewarnt, und das gefährliche Leben eines Abenteurers konnte mich nun, da sich vor meinem geistigen Auge das Tor zur Wissenschaft auftat, nicht locken. Daher dankte ich ihm und sagte ihm Lebewohl, und er versprach, meiner in besseren Zeiten zu gedenken. Aus Sorge für mein Gepäck überredete ich einen Zug von Kaufleuten, mich mitzunehmen, und sie luden meine Truhe und meinen Vorratssack gegen gutes Geld auf ihre Wagen. Es dauerte etwa einen Tag, bis ich erkannte, daß sie meine Habseligkeiten auch umsonst gerne mitgeführt hätten, da sie wertvolle Handelsware geleiteten und zu ihrer Sicherheit ein möglichst starkes Gefolge wünschten. Da war es freilich zu spät, meinen Fehler wiedergutzumachen.
Bald lag auch Hamburg hinter uns, und wir zogen durch gelbe Felder und überquerten viele Flüsse. Tag für Tag lächelte uns das Land milder im Schein der Herbstsonne, und ich wurde nicht müde, die Fruchtbarkeit des Bodens und den Reichtum und die Anzahl der deutschen Städte zu bestaunen. Wir konnten kaum eine Tagesreise zurücklegen, ohne an einem Galgenhügel vorüberzukommen, der uns verkündete, daß wir uns einem volkreichen Orte näherten; wo man die Gesetze zu achten wußte.
In der guten Stadt Köln am mächtigen Rhein hielten wir uns wegen schlechten Wetters einige Tage auf. Ich segnete diesen Aufenthalt, der mir erlaubte, meine Füße zu behandeln und durch Gebete im Dom einen hunderttägigen Ablaß zu gewinnen. Andy und ich hatten bereits große Städte und Kirchen in reicher Zahl gesehen, allein der Anblick dieses herrlichen Gotteshauses ließ uns beide verstummen. Wir fühlten uns wie Würmer, wenn wir die Augen zu den wolkenverhangenen Türmen in schwindelnder Höhe über uns erhoben. Es schien mir, als hätte die ganze Stadt Abo unter seinem Dach Raum. Ich wunderte mich nicht, daß die Kranken, die Blinden und die Krüppel geheilt worden waren, nachdem sie hier gebetet hatten, denn ich habe selten, wenn überhaupt jemals, die Majestät Gottes näher gefühlt als in diesem mächtigen Dom. Man konnte sich schwer vorstellen, daß ihn Menschenhände erbaut hatten.
In Köln vertraute ich meinen Reisekoffer einem Kaufmann an, der einen längeren Weg nach Paris einschlagen wollte als wir, während Andy und ich mit Gottes Hilfe unsere Reise allein
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