Michael, der Finne
Natur, denn dieser schlaue Tintenkleckser gibt vor, die Ehre seines Königs zu verteidigen, wodurch er uns in eine sehr peinliche Lage bringen kann. Wir sind natürlich verpflichtet, einem Herrscher, dessen Wohlwollen und Schutz wir genießen, die gebührende Achtung zu erweisen. Daher scheint mir die einfachste Lösung ein neuer Trinkspruch zu sein. Ich erhebe mein Glas auf den edlen und ritterlichen König Franz: Sein Glück und sein Wohl! Wir wollen diesen Herrn bitten, mit uns darauf anzustoßen, wenn er uns zuerst in angemessener Weise für seine Beleidigung um Verzeihung bittet.«
Er hatte kaum ausgesprochen, als sich das wunderliche, vom Trunk entstellte Gesicht des Fremden in grinsende Falten legte. Er hob beschwörend die tintenbeklecksten Hände und erwiderte: »Verehrter Magister! Gelehrte Scholaren! Ich sehe, daß ich einen schweren Fehler begangen habe, und bereue tief die Worte, die ich in übereiltem Groll herausstieß. Ich ließ mich nur vom Gedanken an meinen König leiten und wollte keineswegs einen Streit vom Zaun brechen.«
Ohne erst um Erlaubnis zu fragen, ließ er sich an unserem Tisch nieder, obwohl wir ihn wegen seines üblen Geruches angewidert betrachteten. Er fühlte sich bewogen, unsere Abneigung zu überwinden, und begann, mit seinen vielen Reisen in fremde Länder zu prahlen und mit den vielen sonderlichen Gönnern, die er durch eine Pechsträhne verloren habe, so daß er nie den Frieden gefunden habe, sondern ein ewiger Wanderer geblieben sei.
»Doch«, sagte er, »drückt mich mein Unglück nun weniger als zuvor, weil nunmehr Unheil über die ganze Welt hereinzubrechen droht. Wenn ihr es wissen wollt, wir haben höchstens noch fünf Jahre zu leben. Darüber bin ich gar wohl unterrichtet, da ich erst kürzlich aus der großen Stadt Straßburg zurückgekehrt bin.« Er verstummte, guckte verblüfft in sein leeres Glas und begann seine Lippen zu bewegen, als sei ihm die Zunge plötzlich am Gaumen kleben geblieben. Doch hatte er unsere Neugier geweckt, und der Engländer füllte auf ein Zeichen von Magister Monk bereitwillig des Fremden Glas.
Der fuhr fort: »Ich will eure Ohren nicht mit der Geschichte meines Unglücks behelligen. Niemand entgeht dem Geschick, das ihm in den Sternen geschrieben steht, und ich betrachte nun seit vielen Jahren in Stunden der Niedergeschlagenheit den Galgen als meine einzige Braut hienieden, die eines Tages meinen armseligen Leib mit offenen Armen aufnehmen wird. Doch wenn ihr dem, was ich euch jetzt erzählen will, Glauben schenken möget, müßt ihr wissen, daß ich Julien d’Avril heiße. Ich bin im April geboren, und mein Leben war so ungewiß und launenhaft wie dieser Monat. Während meines Aufenthaltes in Straßburg las ich zufällig eine gedruckte Prophezeiung, die sich auf eine Konstellation der Planeten stützte, welche im Februar des Jahres 1524 eintreten soll. Nach dieser Prophezeiung steht der Welt eine zweite Sintflut bevor. Ich habe die Sache weiterverfolgt und gefunden, daß viele Gelehrte – von denen ich nur den Hofastrologen zu Wien und einen Sternkundigen aus Heidelberg, dessen heidnischen Namen ich nicht behalten habe, wie auch Thriremus selbst in seinen Schriften zu erwähnen brauche – auf diese Planetenkonstellation hingewiesen und ihre Deutung vorgeschlagen hatten. Kurz, ich bin überzeugt, daß alle Planeten sich dann im Zeichen der Fische treffen werden, und bereite gegenwärtig meine eigenen Ansichten über dieses Ereignis zum Druck vor.«
Magister Monk nickte und bemerkte: »Ich habe von dieser bemerkenswerten Konstellation gehört, und sie deutet zweifellos auf Umwälzungen hin, doch kann ich nicht damit übereinstimmen, daß diese die Form einer Sintflut annehmen, weil dies gegen die unzweideutige Verheißung der Bibel spräche, an die uns der Regenbogen beständig erinnert.«
Julien d’Avril stimmte bei und fuhr fort: »Es gibt Leute, die den Sinn dieser Planetenkonstellation am besten mit Hilfe von Bildern auslegen zu können glauben. Sie sagen, daß die Welt dann kochenden Wassern gleichen wird, und meinen, daß Kaiser und Fürsten stürzen, die Geringsten in allen Ländern gegen die Mächtigsten aufstehen und die Fischteiche der Klöster und der Vornehmen leeren werden, doch können wir, wenn wir die Zeichen richtig lesen, eine einfachere Erklärung finden, und es wundert mich, daß noch niemand darauf verfallen ist.« Er streckte unaufgefordert seine Hand nach dem Weinkrug aus, füllte sein Glas von neuem und
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