Michael, der Finne
lasse eines der Pferde zurück, da es hinderlich ist, zwei zu führen, wenn man einen Esel reitet. Ich hoffe, Ihr werdet mir nicht gram sein, daß ich das Geld mitnehme, und Trost finden in dem Gedanken, daß Ihr mir eine unbezahlbare Lektion verdankt, nämlich die, daß man auf der breiten Straße Geld leicht verdient und ebenso leicht verliert. Sollte mein Drucker Euch wegen der Bezahlung der Bücher behelligen, so tröstet ihn damit, daß ich sobald wie möglich zurückkehren will, um meine Schuld zu begleichen; glaubt er’s, um so besser für Euch. Ich will Eurer stets in meinen Gebeten gedenken; daß Euch dieselbe Einfalt des Herzens immer erhalten bleibe, hofft Euer
Julien d’Avril.«
Ins Herz getroffen, las ich Andy den Brief vor. Nachdem wir seinen Inhalt überdacht hatten, saßen wir da und glotzten einander an.
Endlich bemerkte Andy: »Das besoffene Schwein hat uns betrogen! Wir wollten doch das Geld teilen?«
»Ja, das wollten wir«, antwortete ich. »Doch wir sammelten die ganze Zeit für seine Reise und können nur hoffen, daß er sich wirklich zur Bekehrung der Türken aufmacht. Aber ich gestehe, daß ich ab und zu ein paar Silberstücke für mich zurückbehalten und darüber unnötige Gewissensqualen erduldet habe.«
Andy fiel ein: »Es war ohne Zweifel mein Schutzpatron, der heilige Andreas, der mich meine Hände in Juliens Beutel stecken ließ, wenn ich ihn nachts zu Bett brachte, denn er war oft so betrunken, daß er nicht wußte, wieviel er eingenommen hatte.«
Wir zählten unsere Ersparnisse und fanden uns im gemeinsamen Besitz von 10 Goldstücken und eines Stoßes Silbermünzen. Es gelang uns, das Pferd zu verkaufen, und der Proviant reichte mir für einen Monat. Gold und Silber teilten wir redlich, und als mein Geld zu Ende war, borgte ich allwöchentlich von Andy. Durch einen bescheidenen und fleißigen Lebenswandel gewann ich Magister Monks aufrichtige Achtung, so daß er mir nach Weihnachten erlaubte, vor die sechs erwählten Examinatoren zu treten. Ich beantwortete alle vier Fragen richtig und zu ihrer Zufriedenheit und erhielt mein Diplom mit dem Siegel der Fakultät, zum Zeugnis, daß ich nun das Bakkalaureat erworben hatte.
Nun lag das erste Hindernis auf dem Wege zu höheren Gelehrsamkeit hinter mir. Doch wollte dies wenig bedeuten, da mein Name noch nicht in den Büchern der Universität verzeichnet stand. Es bedurfte weiterer vier bis fünf Jahre Studierens, bevor ich selbst fähig war, zu lehren, die licentia docendi zu erhalten und den Grad eines magister artium zu erwerben. Dann erst konnte ich mein Studium an einer der drei höheren Fakultäten beginnen. Und wenn ich Doktor der Theologie werden wollte, so mußte ich mit wenigstens 15 Jahren rechnen. Doch daran dachte ich nicht, denn mich erfüllte unbändige Freude über diesen ersten Erfolg, und ich fühlte mich für alle meine Mühen und Gewissensnöte reichlich belohnt.
Wenige Tage später wurde ich meiner Hoffnungen grausam beraubt durch einen Brief von Pater Petrus, der im vorigen Herbst geschrieben worden war. Er besagte, daß es in diesen Zeiten der Heimsuchung klug wäre, wenn ich Finnland meide, und daß der gute Bischof Arvid gegen mich sehr aufgebracht sei. König Christian breite einen neuen Feldzug vor. Er hebe Truppen zum Angriff auf Schweden aus, und alle Einwohner Abos, die als Anhänger der Union verdächtig seien, würden verfolgt.
Ich hatte alle meine Hoffnungen auf die Möglichkeit gegründet, nach meinem Examen heimzukehren, demütig vor dem Bischof auf die Knie zu fallen und ihn um Vergebung für die Jugendtorheiten zu bitten, zu denen Herr Didrik mich verleitet hatte. Diese Hoffnungen waren nun eitel, mein Geld war zur Neige gegangen, und ich konnte von Woche zu Woche mein Leben nur fristen, indem ich von Andy borgte. Auch der Alemannischen Nation schuldete ich sechs Deniers und lief Gefahr, meine Studienprivilegien zu verlieren.
In meiner Verzweiflung konnte ich nicht einmal vor dem Altar der Allerseligsten Jungfrau im Dom von Notre Dame knien, um meine Seele zu läutern; denn als der Prior mir den Brief Pater Petrus’ aushändigte, blickte er mich argwöhnisch an und fragte: »Michael de Finlandia, seid Ihr nicht schwedischer Untertan?«
Ich bejahte ehrerbietig, fügte jedoch hinzu: »Wenn es auf die Hilfe ankommt, die wir aus jenem Land erhalten, so könnte ich ebensogut ein Spatz im Schnee sein; ich habe keinen einzigen einflußreichen Gönner. Mein einziger Freund ist der gute Pater
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