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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Gefangenen ihres Rechtes, vom Blutgerüst zum Volk zu sprechen, beraubte. Selbst das heilige Sakrament verweigerte man ihnen; sie mußten allein beten und ihre Seelen der Gnade des Allmächtigen empfehlen. Sie sahen nicht wie Ketzer aus, denn viele von ihnen knieten fromm im Gebete; die Starken trösteten die Schwachen, die Alten stärkten die Herzen der Jungen. Doch durch das Stimmengewirr und die Trommeln hindurch hörte man den Aufprall des Fallbeiles, und die Plattform wurde schlüpfrig von Blut, das in Strömen auf den Platz niederfloß. Körbe wurden mit den Köpfen der Opfer gefüllt und die Leichen in Haufen zu beiden Seiten des Gerüstes aufgeschichtet. Gemeine Leute aber, deren Rang sie nicht zur Enthauptung berechtigte, wurden an den ringsum errichteten Galgen aufgeknüpft.
    Als ich versuchte, die Hingerichteten zu zählen, fand ich zu meinem Erstaunen, daß der Henker viel mehr erschlug als jene, die der kirchliche Gerichtshof namentlich genannt hatte. Der Dunst des warmen Blutes hing schwer in der kalten Novemberluft, und bald wurde die Verwirrung so groß, daß viele, die durch Zufall auf den Platz geraten waren, ohne viel Federlesens, sei es irrtümlich oder absichtlich, ins Jenseits befördert wurden. Dieses entsetzliche Schauspiel lähmte die Menge so, daß keiner versuchte, Widerstand zu leisten. Die Opfer ließen sich die Stufen des Blutgerüstes hinaufführen wie die Lämmer zur Schlachtbank; und ich glaube, daß jeder, der auf dem Großen Platz zugegen war, sich nicht weniger schuldig fühlte als sie, denn die Verurteilten hatten nichts Schlimmeres getan als die anderen auch. Menschen, die man aus der Menge heraus auf das Gerüst schleppte, zeigten keinerlei Überraschung; sie beeilten sich nur, in ihren Börsen nach Geld für den Henker zu suchen, damit er sein Geschäft an ihnen schnell und geschickt verrichte.
    Durch dieses Blutvergießen wurde ich so betört und entrückt, daß ich nicht einmal meinen Namen murmeln konnte, als zwei Schergen des Generalprofosen in der Menge Umschau hielten, mich erspähten und fragten: »Wer ist dieser Grünschnabel mit den tintenbeklecksten Fingern und dem Gesicht eines Scholaren? Er muß zur schwedischen Partei gehören. Er hat Spitzen an den Ärmeln, daher gehört er hinter die Spieße.«
    Sie bahnten sich einen Weg durch die geschlossenen Reihen der Söldner, um mich zu ergreifen, und ich wäre gewiß den Verurteilten zum Hängen oder Enthaupten beigesellt worden, hätte nicht Doktor Paracelsus in der Nähe gestanden. Er bemerkte meine verzweifelte Lage, eilte herbei und schlug den Schergen mit der flachen Klinge über die Finger. Er trat für mich ein und sagte ihnen meinen Namen, und ein Engel vom Himmel hätte mir kaum willkommener sein können, denn die Deutschen fürchteten ihn als berüchtigten Zauberer und ließen sogleich von mir ab. Der Reisige, der mich vom Palaste hierhergeleitet hatte, war längst von meiner Seite gewichen, um sich unter den anderen gottlosen Söldlingen herumzudrücken und den blutüberströmten und kopflosen Leichen Geldbörsen, Ringe und Schnallen abzunehmen. Ich stützte mich auf den Arm meines Retters und erbrach all das gute Essen, das ich genossen hatte; doch tat es mir nicht leid darum, da es mich vergiftet hätte, wäre es in meinem Magen geblieben. Ich habe all dies nur deshalb ausführlich erzählt, um das herrschende Durcheinander und die allgemeine Verwirrung zu schildern, und keineswegs, um mich meiner wunderbaren Errettung zu rühmen.
    Um diese Zeit begann es zu dunkeln, und mit der hereinbrechenden Abendkühle nahm der Gestank rings um den Block des Scharfrichters zu. Schneeflocken glitten mir über die Wange. Ich war empört, den Balkon des Rathauses und die Tore vieler Häuser immer noch mit Wacholder zur Feier der Krönung geschmückt zu sehen. So gewiß, wie König Christian seinen Gästen drei Tage üppiger Unterhaltung bereitet hatte, so gewiß kredenzte er ihnen nun einen Trunk, der ihnen das darauffolgende Kopfweh nehmen, ja sie von allen anderen irdischen Leiden befreien sollte.
    Nachdem ich mich etwas erholt hatte, wollte ich den Platz verlassen, aber Meister Paracelsus hielt mich fest, weil er mit dem Scharfrichter sprechen wollte, wenn das blutige Fest vorüber wäre.
    »Ich bin kein Prophet«, sagte er, »nur ein Arzt; aber genauso wie diese meine Augen, geschärft vom Licht der Natur, den unermeßlichen Erzreichtum in den Eingeweiden der Erde entdecken konnten – denn ich war bei den Bergleuten

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