Michael, der Finne
Buch, den Anschlägen der Teufel und der Priester zum Trotz, gedruckt. Von nun an kann jeder ehrliche Mann den Text lesen und erklären, und ich habe in dem ganzen Werk keine Zeile, ja kein Wort gefunden, das einem Laien verböte, das zu tun.«
Aber Sebastian Lotzers Gefährten warnten ihn: »Er soll nicht bei uns sitzen, denn er ist ein Käsegesicht und will die rothaarige Barbara heiraten. Aber wenn er schon unserer evangelischen Brüderschaft beitreten soll, so soll er wenigstens eine Runde für uns alle berappen.«
Auf diese Weise wurde ich mit Sebastian Lotzer bekannt und hörte ihn die Bibel in einer Art auslegen, die von der rechtgläubigen grundverschieden war. Ihm und seinen Freunden ging es nicht so sehr um die Erlösung durch die Bibel; sie wollten vor allem herausfinden, ob sie den Zehnten rechtfertigte, die Heiligenverehrung, den Glauben an Fegefeuer und Fürsprache für die armen Seelen, und ob Mönche und Nonnen das Recht hatten, mit den armen Weberinnungen in Wettbewerb zu treten, ohne dem Stadtsäckel Steuern oder andere Abgaben zu leisten. Sebastian Lotzer erklärte kühn, keiner brauche etwas zu zahlen oder zu glauben, das nicht in der Bibel ausdrücklich gefordert werde. Er erklärte auch, in der Heiligen Schrift stehe kein Wort von Klöstern. Die habe vielmehr der Teufel erfunden, um die ehrlichen Handwerker und die Armen zu plagen und zu unterdrücken. Die Weber könnten sich und ihre Familien nicht mehr erhalten, da sie gegen die großen Webereien der Klöster zu kämpfen hätten, die von allen Steuern befreit seien.
Sebastian Lotzer setzte hinzu: »Die Gerechtigkeit Gottes ist größer als die Gerechtigkeit der Kirche oder des Kaisers, denn die Kirche ist eine Einrichtung von Menschen, und der Kaiser wird vom Volke gewählt. Daher will ich Tag und Nacht ringen, um Gottes Gerechtigkeit zu erkennen, so daß ich zu gegebener Zeit anderen davon Zeugnis ablegen kann durch die klaren Worte der Bibel, die jedermann erfassen kann. Gewiß war es nie Gottes Ratschluß, daß die Mönche in ihren Klöstern prassen und fett werden sollten, während Bauern und Städter sich für ein Stück trockenes Brot abmühen und plagen müssen. Nein, wir müssen alledem ein Ende machen, denn Christi Blut hat alle armen Sünder erlöst; vor dem Angesicht Gottes sind sie alle gleich. Gott kennt weder Bischöfe noch Priester, weder Mönche noch adelige Herren; vor ihm genießen alle gleiche Rechte. Das Volk muß die Zeichen der Zeit verstehen lernen, denn die Geduld der Armen hat ihre Grenzen.«
Der Wirt zum Wilden Eberfang hatte ehrfürchtig gelauscht; nun aber wurde es ihm unbehaglich. Er nahm unsere leeren Krüge fort, wischte den Tisch ab und sagte: »Ich kann Euch nicht länger ankreiden, Sebastian – und wenn Euer Vater Euch hörte, würde er Euch verdreschen, daß Ihr nicht mehr stehen könntet. Setzt Eure Lesung anderswo fort, denn die guten Bürger werden bald zur Chorprobe hier eintreffen – und da heißt es für die Lehrlinge verschwinden, ob das nun in der Bibel steht oder nicht.«
Sebastian Lotzer wickelte das kostbare Buch in ein Stück Zeug und nahm es unter den Arm. Wir verließen zusammen die Schenke, und er wandte sich an mich: »Wir wollen Freunde sein, Michael Pelzfuß, denn ich habe keinen Menschen meines Standes, mit dem ich all die brennenden Gedanken, die auf mich einstürmen, erörtern könnte. Und ich möchte mich mit Euch auf lateinisch unterhalten. Ich habe diese Sprache aus eigenem studiert, und wenn ich sie auch nur radebrechen kann, so las ich doch einen großen Teil der Bibel darin, bevor dieses unvergleichliche Buch aus der Druckerpresse kam.«
Ohne Zögern führte er mich ins Haus seines Vaters, in eine Stube, darin der hochgewachsene Kürschnermeister stand und mit sicheren, raschen Schnitten wertvolle Felle zerschnitt, um daraus Pelzverbrämungen für die Mäntel vornehmer Kunden zu machen. Vater und Sohn glichen einander, und ihre großen, hellen Augen lagen gleich weit auseinander.
»Ich habe einen Freund gefunden«, sagte Sebastian, als er mich seinem Vater vorstellte. »Er ist ein Fremder in dieser Stadt, aber ein gelehrter Jüngling von feinen Sitten. Seid ihm gut, Vater – und grollt mir nicht, wenn ich mich heute mit ihm unterhalte, statt Euch beim Zuschneiden zu helfen.«
Meister Lotzer schenkte mir einen langen, abschätzenden Blick.
»Willkommen in meinem Hause, Michael Pelzfuß«, sagte er schließlich. »Bringt kein Unheil über meinen Sohn. Er ist ein junger
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