Michael, der Finne
hübsch, ihre harten Züge gemildert, die Sommersprossen schienen verschwunden, ihre Zähne fleckenlos, und ich hing wie gebannt an ihren Augen.
5
Eines Tages, als im Hause des Büchsenmachers die Vorbereitungen für unsere Hochzeit in vollem Gange waren, drückte mir Barbara, zum ersten Male ungeduldig, eine Silbermünze in die Hand und hieß mich beim Wilden Eberfang Bier trinken, statt den Frauen im Wege zu sein. Ich gehorchte nur zu gern und machte mich auf den Weg zur Schenke, die neben dem Rathaus lag und im Sommer kühl, im Winter warm war, wie eine richtige Schenke sein soll.
Ich hatte so lange abgeschieden gelebt, daß ich aus der Fassung geriet, als das Stimmengewirr verstummt und alle Augen auf mich gerichtet waren. Aber ich trug das stattliche Gewand, das Barbara mir hatte machen lassen; so ließ ich mich am Ende des Tisches nieder und bestellte beim Wirt einen Humpen seines besten Bieres. Er zögerte und wischte gemächlich den Tisch mit seinem Schurz, bevor er das Bier abzapfte. Dann setzte er den Humpen so unsanft vor mich hin, daß mir der Schaum auf die Knie spritzte. Die jungen Männer am selben Tisch fingen untereinander zu flüstern an, und einer von ihnen spuckte giftig auf den Boden, als mein Blick auf ihn fiel. Ich beachtete ihn jedoch nicht, da er, nach seiner Kleidung zu schließen, ein gewöhnlicher Lehrjunge war.
Eingehender betrachtete ich einen anderen Burschen, der inmitten der Gruppe saß, ein offenes Buch vor sich. Er trug ein kupfernes Schreibzeug am Gürtel und neumodisch geschlitzte Puffärmel. Er hatte ein offenes, entschlossenes Gesicht; unter seinen schwarzen Brauen leuchteten ein Paar große Augen, die einen Mann von Geisteskraft verrieten. Ich trank mein Bier, während er seine Kameraden schweigen hieß und fortfuhr, aus seinem Buch laut vorzulesen, wobei mein Eintritt ihn unterbrochen hatte. Ich hörte aufmerksam zu. Das Thema war mir vertraut, doch dauerte es ein Weilchen, bis ich erkannte, daß er das Evangelium auf deutsch las. Der Schreck fuhr mir in die Glieder, so daß ich auffuhr und mich unwillkürlich bekreuzigte.
Daran nahm der Vorleser Anstoß; er hielt wieder inne, warf mir einen finsteren Blick zu und sprach: »Wenn Ihr ein Fremder seid in der Stadt Memmingen und Euch fürchtet, dem heiligen Gotteswort zu lauschen, so hält Euch nichts, auszutrinken und hinzulaufen, um mich anzuzeigen. Und damit Ihr wißt, über wen Ihr Eure Märchen erzählt, laßt Euch sagen, daß ich Sebastian Lotzer, der Sohn des Kürschners, bin. Ich arbeite in seiner Werkstatt, wenn ich nicht ehrlichen Männern Gottes Wort in einer Sprache erkläre, die sie verstehen können.«
Seine Gefährten stießen einander an und meinten: »Wir wollen diesen mönchischen Lauerer hinauswerfen und ihm die Knochen brechen! Es ist der käsegesichtige Kerl, der mit Barbara Büchsenmeisterin verlobt ist, und wer weiß, unter welchem Teufelsschwanz er hervorgekrochen ist!«
Der Lärm verstimmte und beleidigte mich, und ich zog mich an die Tür zurück, da Wirtshausgezänk unter meiner Würde war.
Doch ergriff ich das Wort zu meiner Verteidigung und sprach: »Mein Name ist Michael Pelzfuß, und ich bin ein Bakkalaureus Artium der hohen Universität Paris. Ihr habt keinen Grund, mich zu hassen. Aber ich bin eben erst von langer Krankheit genesen, und eben vorhin wollte es mir scheinen, als läset Ihr, Sebastian Lotzer, Gottes heiliges Wort aus einem deutsch gedruckten Buche vor, obwohl Ihr das Gewand eines Laien tragt und ein Kürschner sein wollt. Daher kann ich nur vermuten, der Teufel will meinen Glauben auf die Probe stellen und hat mir das Gehör verwirrt und den Blick verblendet.«
Sebastian Lotzer lächelte mir zu und erwiderte: »Eure Krankheit muß fürwahr lange gedauert haben, wenn Ihr die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt habt. Setzt Euch zu uns und hört mir beim Lesen zu, denn meine Kameraden und ich haben zum Kaufe dieses heiligen Buches zusammengesteuert – es kostete so viel wie ein gutes Pferd –, auf daß wir unsere Heilserwartung allein auf die Worte der heiligen Bibel gründen und durch sie allein die Dinge und Geschehnisse um uns bewerten können. Dies Buch ist das Neue Testament, von Doktor Luther ins Deutsche übertragen, und kein Blendwerk des Teufels. Ja, der Satan versuchte ihm mit Hörnern und Klauen beizukommen, um ihn zu stören und an seiner Übersetzerarbeit zu hindern, so daß der Doktor sein Tintenfaß dem Bösen in die Fratze schleudern mußte. Doch nun ist das
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