Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
brachte sich selbst das Lesen bei, arbeitete als Schuhmacher, Zeitungsverkäufer und in einem Sägewerk. Angeblich nahm er jeden Abend unverkaufte Zeitungen mit nach Hause, um seine Kinder lesen zu lehren. Inzwischen gab es in Georgetown die Howard-Schule, die einzige Schule für Schwarze im Bezirk; dort habe man sich diese Geschichte erzählt, berichtete Dorothy Taylor, eine 89-jährige Bürgerin von Georgetown, im Herbst 2008 der «Washington Post». «Alles Heil lag in Bildung und Religion», beschreibt sie die Geisteshaltung jener Zeit. «Du musstest auf Gott vertrauen und so viel lernen, wie du konntest. Wir hatten doch nichts.»
Auch Frasers Bruder Gabriel kam voran. Mit einem Arbeitstrupp sammelte er in den Nadelwäldern Harz und konnte sich von dem Ersparten schließlich eine kleine Farm westlich der Plantage Friendfield kaufen. 2008 war diese Farm noch im Familienbesitz.
Der Zug nach Norden
Fraser Robinson II. (oder Junior) kam am 24. August 1912 auf die Welt. Es heißt, Michelles Großvater sei ein begabter Schüler und ein guter Redner gewesen. Laut Volkszählung 1930 lebte er im Alter von 18 Jahren bei seinen Eltern und arbeitete in einem Sägewerk. Es waren ökonomisch harte Zeiten, 1929 war die Börse zusammengebrochen, es folgte die große Depression mit hohen Arbeitslosenzahlen. Sie sollte ein Jahrzehnt andauern. Ein Bekannter der Robinsons war wegen der Not und dem Mangel an bezahlter Arbeit von South Carolina nach Chicago gegangen. Fraser II. folgte ihm. In den 20er Jahren hatte die Stadt am Michigansee einen enormen Aufstieg als Industriestandort erlebt, der sich trotz Depression auch in den 30er Jahren fortsetzte. Der offenbar unstillbare Hunger der Stahlwerke, Eisenbahnen, Schlachthöfe, der Konservenindustrie und übrigen Fabriken nach Arbeitskräften wurde zum Auslöser der «Great Migration»: Insgesamt migrierten in dem halben Jahrhundert zwischen 1915 und 1970 etwa sieben Millionen Afroamerikaner aus den Südstaaten in die Industriegebiete des Nordens und Mittleren Westens, davon rund eine halbe Million nach Chicago. Der Zustrom veränderte die Großstadt kulturell, denn die Neuankömmlinge brachten ihre Musik mit, den Jazz, ihre speziellen Gottesdienste mit Tanz und spirituellen Gesängen – und ihre südliche Küche. Der Schwarzenanteil in der Stadt stieg im 20. Jahrhundert von zwei auf 37 Prozent.
Großvater Fraser hatte das Glück, dass er eine sichere Anstellung bei der Post in Chicago bekam – aber zugleich das Pech, dass er diese Arbeit als langweilig empfand. In Michelles frühen Kindheitsjahren wohnten die Großeltern in einer Anlage von Sozialwohnungen: drei- bis achtstöckige Betonbauten mit Backsteinfassade namens «Parkway Gardens», die drei Straßenblocks mit den 6400er bis 6600er Hausnummern zwischen King Drive und South Calumet Avenue einnehmen. Für Fraser Junior, der aus sehr bescheidenen Umständen in South Carolina kam, mag es äußerlich ein Aufstieg gewesen sein. Aber es ist sehr verständlich, dass Michelles Eltern dort wegwollten – und sei es nur in die beengten Mietverhältnisse im Obergeschoss des zweistöckigen Eigenheims, das die Tante Robbie Terry und ihr Mann 1965 gekauft hatten. Auch dort würden die Räumlichkeiten zunächst bescheiden sein. Aber es war bereits eine Unterkunft aus eigener finanzieller Kraft, keine Sozialwohnung mehr von kommunalbehördlichen Gnaden. Michelle schließlich nannte als erwachsene Frau erst eine 200 Quadratmeter große Eigentumswohnung und, von 2005 an, eine richtige Villa mit sechs Schlafzimmern im vornehmen Universitätsviertel ihr Eigen.
«Unzufrieden» mit dem Leben in Chicago habe der Großvater gewirkt, hat Michelle später erzählt. Die Familie war nicht überrascht, dass es Fraser II. und seine Frau LaVaughn bald nach der Pensionierung nach Georgetown zurückzog, wo er ein halbes Jahrhundert zuvor aufgewachsen war. Und so kam Michelle ab ihrem zehnten Lebensjahr regelmäßig zu Besuch nach South Carolina. Sie erinnert sich an das Zirpen der Grillen und andere typische Laute des Südens, die sie nachts wach hielten, und an den Geschmack des Wildbratens, von dem ihr übel wurde. Sie muss als Jugendliche mehrfach an der Einfahrt zur Plantage Friendfield vorbeigekommen sein, wo ihre Vorfahren Sklavenarbeit verrichtet hatten. Doch von dieser Verbindung erfuhr sie damals nichts. «Darüber wurde in der Familie nie gesprochen», sagte sie Journalisten im Jahr 2008.
Doch im Wahlkampf, der sie an der Seite ihres Mannes ins
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