Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
Weiße Haus bringen sollte, wurde dieser Teil der Familiengeschichte zur politischen Botschaft gemodelt – einer hoffnungsvollen Botschaft von Freiheit, Emanzipation und Aufstieg. «Vermutlich gibt es Tausende einarmiger Frasers überall im Land, die sich aus der Sklaverei herausgearbeitet und ihre Emanzipation errungen haben, die ihre Klugheit und harte Arbeit, diese typisch amerikanischen Tugenden, nutzten und durch ihren Aufstieg die Fundamente legten, auf denen ich heute stehe», sagte sie damals in South Carolina.
Fraser II. ging nach Abschluss seines Erwerbslebens in Chicago zurück in den Süden. Erst für seinen Sohn Fraser III. wurde Chicago zum selbstverständlichen Bezugspunkt. Dort war er am 1. August 1935 geboren worden. Mit ihm voll endete sich der Wandel der Robinsons von einer Sklaven- und Landarbeiterfamilie in der Plantagenwirtschaft des Südens zu einem Haushalt der nordamerikanischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Seine Kinder Craig und Michelle sollten in noch viel höhere Sphären vorstoßen.
Doch zunächst zur anderen Seite der Familiengeschichte, den Vorfahren mütterlicher- und großmütterlicherseits. Über sie weiß man wenig. Von LaVaughn Johnson, der Frau, die Fraser II. am 17. Oktober 1934 in Chicago heiratete, hat Michelle ihren zweiten Vornamen. Ihre Familie war eine Generation früher als die Robinsons nach Norden gezogen, sie kam bereits in Chicago zur Welt, am 6. Februar 1915. Ihre Vorfahren waren von noch weiter südlich als South Carolina gekommen, aus Mississippi. LaVaughns Großvater soll ein christlicher Prediger gewesen sein. Die Familiengeschichte von Michelles Mutter liegt fast völlig im Dunkeln. Sie stammt aus einer kinderreichen Familie und wuchs mit neun Geschwistern in Chicago auf. In einem Fernlehrgang absolvierte sie die Ausbildung zur Sekretärin. Am 30. Oktober 1960, also im Alter von 23 Jahren, heiratete sie Fraser Robinson III. Anderthalb Jahre danach, am 21. April 1962, kam ihr erstes Kind Craig auf die Welt. Und weitere 21 Monate später, am 17. Januar 1964, die Tochter, Michelle LaVaughn Robinson. Die junge Familie lebte damals noch im selben Block mit Sozialwohnungen wie die Großeltern, hat Michelle im Mai 2009 dem «Time»-Magazin erklärt. «Ich bin dort geboren. Ich sah es damals als ein wunderbares, kleines Apartmenthaus. So habe ich es in Erinnerung. Wenn ich heutzutage daran vorbeifahre, denke ich: Mein Gott!» Damals war es eine arme Gegend, jetzt ist es eine heruntergekommene Wohnanlage, die an ein aufgegebenes Gewerbegelände grenzt.
Als Michelle geboren wurde, war das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe in Chicago gewiss nicht harmonisch. Das galt freilich ebenso für Gruppen, die zwar gleicher Hautfarbe, aber verschiedener geografischer und kultureller Herkunft waren. Es herrschte ein harter Wettbewerb zwischen Schwarz und Weiß, doch kaum minder zwischen den Einwanderern aus Irland, Polen, der Tschechoslowakei und Italien – um Jobs, um öffentliche Mittel, auch um Wohnraum und die Dominanz in den jeweiligen Gegenden. Dasselbe gilt bis heute für die Konkurrenz zwischen den Schwarzen der South Side und den Schwarzen der West Side von Chicago.
Kurz vor Michelles Geburt war mit dem Bau des Dan Ryan Freeway als Hauptverbindungsachse aus dem Zentrum nach Süden begonnen worden. Die Trasse wurde so gelegt, dass sie die weitere Ausdehnung schwarzer Wohngebiete behinderte und die weißen Viertel von ihnen abriegelte. 1966, zwei Jahre nach ihrer Geburt, kam Martin Luther King nach Chicago, um die Bürgerrechtsbewegung nach zahlreichen Erfolgen im Süden auch im Norden als öffentliche Massenbewegung zu organisieren. Er und seine Mitstreiter deckten Diskriminierungsmechanismen bei der Wohnungssuche auf, deren Ziel die Beibehaltung getrennter Wohngebiete für Weiße und Schwarze war. Ihre Demonstrationszüge wurden immer wieder mit Gewalt gestoppt, einmal wurde King von einem Backstein getroffen. Auch in Chicago erhielt er regelmäßig Morddrohungen. Nach einigen Monaten kehrte er in den Süden zurück, in Chicago setzte Jesse Jackson seine Arbeit fort.
Andererseits war die verdeckte Beeinflussung der Aufteilung von Stadtvierteln nach der Hautfarbe weniger bedrückend als die offene Diskriminierung in den Südstaaten. Dort herrschte in Michelles Geburtsjahr noch generelle Rassentrennung – nicht nur ein ökonomisch-soziales System, das die Praxis getrennter Wohngebiete beförderte wie in Chicago. Im Süden galt eine
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