Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
Erzählungen war es nochmal anders. In dem Abschnitt in «The Audacity of Hope» unterlaufen ihm freilich faktische Irrtümer: Er verlegt sein Praktikum in den Sommer 1988 statt 1989. Und er schwindelt über Details, entweder in dieser Passage oder in seinem ersten Buch «Dreams from My Father». In «Audacity» schreibt er, er habe sich für das Praktikum drei Anzüge gekauft, die ersten überhaupt in seinem Leben. In «Dreams» verrät er dagegen, er habe sich bereits während seiner Arbeit für eine Handelsberatungsfirma 1983 in New York im Spiegel des Aufzugs in Anzug und Krawatte betrachtet. Laut Barack sahen Michelle und er sich seit dem Lunch am ersten Praktikumstag täglich im Büro, in der Bibliothek der Kanzlei und in der Cafeteria sowie bei verschiedenen Freizeitaktivitäten, die Sidley Austin organisierte. Michelle habe ihn auch zu «ein oder zwei Partys mitgenommen, wobei sie meine bescheidene Garderobe taktvoll übersah und sogar versuchte, mich mit einigen ihrer Freundinnen zu verkuppeln». Ein offizielles Date habe sie jedoch abgelehnt. Nach einem Sommerpicknick der Firma habe sie ihn in ihrem Auto zu dem Apartment gefahren, das er für das Praktikum gemietet hatte. Zum Dank habe er für sie beide Eis creme beim Baskin-Robbins-Stand auf der anderen Straßenseite gekauft.
«Wir saßen auf der Kante des Bürgersteigs und aßen unsere Eistüten in der stickigen Nachmittagshitze, und ich er zählte ihr von meinen Aushilfsjobs als Teenager bei Baskin-Robbins und wie schwer es mir gefallen sei, cool auszusehen in der braunen Schürze und Mütze. Sie erzählte mir, dass sie sich als Kind zwei oder drei Jahre lang geweigert habe, irgendetwas anderes als Erdnussbutter und Götterspeise zu essen. Ich sagte, ich würde gern ihre Familie kennenlernen. Sie sagte, das würde ihr gefallen. Ich fragte, ob ich sie küssen dürfe. Es schmeckte nach Schokolade.»
Beider Darstellungen, wann und wo es zur ersten körperlichen Annäherung kam, im Kino oder beim Eis am Bordstein, klingen poetisch. Nur würde man gern wissen, wie es wirklich war. Bei der Aufklärung sind die Obamas keine große Hilfe. Das Weiße Haus beantwortet Anfragen dazu eben so wenig, wie das Wahlkampfteam zuvor Auskunft zu Wissenslücken oder fragwürdigen Momenten in Baracks Lebensweg gab. Amerikanische Journalisten kolportieren die gefühlsseligen Schilderungen gern, streichen aber selten heraus, dass die hübschen Details sich nun einmal schwer miteinander vereinbaren lassen.
Doch selbst diese voneinander abweichenden Versionen, wie aus der Bürobekanntschaft eine amouröse Beziehung wurde, fügen sich auf bemerkenswerte Weise in das größere Bild von den Unterschieden zwischen Michelle und Barack ein. Sie ist bürgerlich geprägt. Alles muss seine Ordnung haben. Zu ihrer Welt und Werteordnung gehören die heile Familie, das Streben nach einer angesehenen Berufsstellung und einem guten Gehalt – und was das Liebesleben betrifft, der geregelte Gang der Dinge vom offiziellen Date über die Verlobung zur Hochzeit.
Barack ist unkonventionell aufgewachsen, ohne den leiblichen Vater und mit einer Mutter, die fast alles anders macht als das bürgerliche Amerika. Ann ist eine Weiße aus Kansas, die es nach Hawaii verschlagen hat. Zweimal heiratet sie ausländische Gaststudenten. Das zweite Mal zieht sie dem Mann ins Ausland hinterher, nach Indonesien, wo auch Barack zwischen seinem sechsten und zehnten Lebensjahr aufwächst. Beide Ehen gehen in die Brüche. Die Mutter muss den Sohn aus der ersten Verbindung und die Tochter aus der zweiten allein aufziehen und studiert parallel Entwicklungshilfe, um nach Indonesien zurückzugehen, nun als Fachkraft. Barack wohnt in der High-School-Zeit bei seinen Großeltern. Die tradierten Sitten, die der Gesellschaftsordnung Halt geben sollen wie die Regeln für das Dating, eine Verlobung und Hochzeit, bedeuten ihm wenig. Liebschaften entwickeln sich, wenn wahre Gefühle dahinterstecken, auch ohne Trauschein zu einem belastbaren Bund. Bei den Ansichten über die Institution und den Wert der Ehe zieht Michelle Barack mit der Zeit auf ihre Seite. In den Diskussionen, welche Berufe und Arbeitsinhalte erstrebenswert sind, überzeugt Barack umgekehrt Michelle.
Im Frühjahr 1991 lud er sie dann zu einem Abendessen in einem feineren Restaurant in Chicago ein, dem «Gordon’s» in der Clark Street, um, wie er sagte, den Abschluss seines Juraexamens in Harvard zu feiern. «Er lenkte mich zu dem Thema und brach eine weitere
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