Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
Chicago zurück, nach zwei Jahren als Basketballer in Großbritannien.
Sidley Austin war keine besonders originelle Wahl. Barack Obama würde sich nach Abschluss seines Jurastudiums in Harvard für eine kleinere Kanzlei entscheiden, die sich auf Bürgerrechtsfälle spezialisierte, und die Lehrtätigkeit als Dozent für Verfassungsrecht an der Universität von Chicago. Sidley Austin, 1866 gegründet, gilt als eine der traditionsreichsten und größten Kanzleien der USA. Die Wohnung der Robinsons in South Shore lag rund 16 Kilometer weiter südlich. Dort zog Michelle nun wieder ein.
Ihre drei Jahre in der Kanzlei habe sie als langweilig empfunden, hat Michelle später oft gesagt. Die Arbeit sei intellektuell keine große Herausforderung gewesen. Sie konnte ihren Ehrgeiz nicht befriedigen. Und sie habe das Gefühl gehabt, den meisten Kolleginnen und Kollegen sei es ähnlich gegangen. Bei Wahlkampfauftritten ging sie noch weiter in der Zurückweisung ihres eigenen Berufseinstiegs, warnte vor der Privatwirtschaft samt ihren finanziellen Verlockungen und empfahl stattdessen den öffentlichen Dienst. «Wir haben die Welt der Konzerne verlassen, und wir wissen, es ist viel verlangt, wenn wir das von anderen erwarten», sagte sie Ende Februar 2008 in einer Kinderbetreuungsstätte in Zanesville, Ohio. «Geht nicht in die großen Firmen, helft lieber eurer lokalen Gemeinschaft, werdet Sozialarbeiter, Krankenschwester. Das sind die Berufe, die wir brauchen, und wir ermutigen junge Leute, das zu tun. Wenn ihr euch freilich entscheidet, aus den Betrieben auszuscheiden, die das große Geld verdienen, wie wir das getan haben, und in die Berufe zu gehen, wo man anderen hilft, dann hat das Folgen für das Gehalt.»
Mit solchen Äußerungen verletzte sie einige ihrer Exkollegen – und generell manche Obama-Anhänger, die in der Privatwirtschaft arbeiten. Sie störten sich nicht an der Aufforderung, soziale Berufe anzustreben statt der hochbezahlten Jobs in Kanzleien, Banken und Vorstandsetagen. Positiv gewendet gehört der Aufruf zum Dienst am Vaterland spätestens seit John F. Kennedy zum unverzichtbaren Repertoire demokratischer Präsidentschaftskandidaten. Sie wunderten sich jedoch über die negative Tonlage in Michelles Begründung. Sie machte die Empfehlung zu einem wiederkehrenden Teil ihrer Reden zu Jahresbeginn 2008, an der Universität von South Carolina, in Florida, Rhode Island und anderswo. Und es klang so, als stelle sie Rechtsanwälte und Finanzdienstleiter unter den Generalverdacht, sie seien herzlose Menschen, denen es allein ums Geld gehe. «Wenn jemand die Begabung hat, eine Sache gut zu vertreten, dann verhökert man die nicht an den höchsten Bieter», sagte sie. Damit wollte sie den Berufsweg ihres Mannes als Community Organizer und Bürgerrechtsanwalt als selbstlos hervorheben. Doch zugleich konnte sich der Satz wie eine Beleidigung der Juristen anhören, die einen anderen Weg wählten. Ähnliches galt für ihre Aussage: «Wir wollen nicht in einer Welt leben, die von Rechtsanwälten und Hedgefonds-Managern bestimmt wird.»
Stephen Carlson, der Mann, der ihr über das Princeton-Alumni-Netzwerk die Türen bei Sidley Austin geöffnet hatte, sagte später, mit solchen Äußerungen habe Michelle ihn tief enttäuscht.
Die eigentliche Frage ist: Entsprachen derartige Sätze ihren wahren Empfindungen über ihre Zeit in der Kanzlei? Oder tat sie nur so, weil sie meinte, dass sie im Wahlkampf hilfreich seien – und schoss bei ihren Formulierungen über das Ziel hinaus, sodass sie manche Bekannte und Exkollegen befremdete? Dieses Muster kennen wir aus Princeton: Michelle neigt dazu, ihre Vergangenheit kämpferischer darzustellen, als es ihre Wegbegleiter aus den entsprechenden Lebensabschnitten in Erinnerung haben. In der Kanzlei ist sie nicht schlechter behandelt worden als andere Anfänger. Im Gegenteil, dort wurde sie sogar bevorzugt bei der Zuteilung interessanter Aufträge.
Deshalb liegt eine psychologische Erklärung nahe, die zwar nicht ihren Ursprung im Wahlkampf hat, aber durch ihn befördert wurde. Im Vergleich zu ihrem Mann Barack hatte Michelle im Studium und beim Berufseinstieg erkennbar weniger politisches Interesse und soziales Engagement gezeigt. Sie hatte sich zwar gedanklich mit der Lage der Afroamerikaner auseinandergesetzt. Er aber hatte in beeindruckendem Maße Zeit und Geld geopfert, um den Schwarzen aktiv zu helfen. Nach dem Grundstudium gab er einen gutbezahlten Job in der Finanzberatung in
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