Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
Krankenversicherung ein Teil des Arbeitsvertrags. Größere Firmen bieten sie ihren Angestellten und deren Familien an – und handeln den Umfang der Absicherung aller Betriebsangehörigen mit einem Versicherer aus. Wenn das Anstellungsverhältnis endet, geht auch der Versicherungsschutz verloren. Kleinere Betriebe bieten zudem oft keine Krankenversicherung an. Auch ungelernte Arbeiter oder Menschen mit Teilzeitverträgen haben häufig das Nachsehen. Millionen Amerikaner verfügen deshalb über keine Krankenversicherung. Sie könnten zwar privat eine Police für sich und die Familie abschließen, aber das empfinden die meisten Betroffenen als zu teuer. Da sie keine Versicherung haben, gehen sie in der Regel auch nicht prophylaktisch zum Arzt. Werden sie ernsthaft krank, wird die Notaufnahme des Krankenhauses zur letzten Zuflucht. Dort wird jeder behandelt, auch wenn er nicht zahlen kann.
Aus Sicht nicht nur der Mediziner ist das die unvernünftigste Art der Gesundheitsversorgung. Wegen der hochwertigen technischen Ausstattung eines «Emergency Rooms» und dem besonders qualifizierten Personal verursacht die Behandlung dort außergewöhnlich hohe Kosten. Patienten, die den Besuch durch rechtzeitiges Erscheinen bei einem einfachen Arzt hätten vermeiden können, «verstopfen» zudem die Notaufnahme. Aus der Sicht der Kliniken ist die Nutzung der Notaufnahme als letzter Ausweg für nicht versicherte und nicht zahlungsfähige Patienten ein Missbrauch des Systems. Die Betroffenen spüren natürlich diesen Unwillen, auch wenn sie behandelt werden. Und sie fühlen sich abgewiesen, wenn man ihnen rät, sie könnten mit ihrem Problem auch eine kostengünstigere Arztpraxis aufsuchen.
Dieser strukturelle Grundkonflikt ist in ganz Amerika verbreitet. Im Fall des Universitätsklinikums Chicago hatte er jedoch besondere Ausmaße angenommen. Diese Klinik hat wegen ihrer zusätzlichen Aufgaben in Forschung und Lehre eine noch höherwertige Ausstattung als reguläre städtische Krankenhäuser. Und im Umkreis wohnen überdurchschnittlich viele Arme und Unversicherte. Folglich waren die Spannungen dort besonders groß. Die Klinikleitung musste etwas unternehmen. Das war der eine Grund, warum sie sich um Michelle Obama bemühte. Die hatte mit dem Freiwilligenprogramm des Studentenwerks vorgemacht, wie sich ein so belastetes Verhältnis verbessern lässt.
Der andere Grund: Kurz bevor Michelle 2002 den Jobwechsel vollzog, hatte sich ein weiterer Streit zugespitzt. Er hatte sich seit über einem Jahr angebahnt. Das Klinikum plante in jener Zeit Ausbauten von ungewöhnlicher Dimension. Insgesamt ging es nach Angaben des «Hyde Park Herald» vom August 2002 um Aufträge im Wert von 500 Millionen Dollar. Handwerker der Umgebung hatten sich beschwert, dass für sie kaum etwas abfalle. Dieser Konflikt wurde auch unter dem Vorwurf der Rassendiskriminierung ausgetragen. Be triebe mit vielen Schwarzen und Latinos klagten, sie kämen nicht zum Zuge. Im November 2001 hatte die Vereinigung Afroamerikanischer Bauunternehmer die Grundsteinlegung für den Ausbau mit Protestaktionen gestört. Unter dem Druck hatte die Klinik im Dezember 2001 ihre erste «Economic Opportunity Fair» abgehalten – eine Kontaktbörse für Handwerks- und Baubetriebe mit der Zusage ökonomischer Chancengleichheit. Universitätspräsident Don Randel versprach, er wolle die Vorgabe der Stadt, 25 Prozent der öffentlichen Aufträge an Firmen der Minderheiten zu vergeben, deutlich übertreffen. Nur folgten die Taten offenbar nicht ganz so schnell. Michelle wurde mit der Aufgabe betraut, auch diesen Konflikt mit der Nachbarschaft zu moderieren. «Wir sind dabei, ein Büro aufzubauen, das sich darum kümmert», sagte die frischgebackene Direktorin für Nachbarschaftsbeziehungen im August 2002. «Zum Jahresende wollen wir es in Betrieb haben.»
Michelle war hilfreich bei der Vermittlung in diesem Konflikt, weil sie aus der South Side stammte. Sie wurde zum Aushängeschild einer «weißen» Institution und erhöhte in den Augen der Afroamerikaner die Glaubwürdigkeit der Ausgleichsbemühungen. Doch erneut kann man den Eindruck gewinnen, bei der späteren Beschreibung könnte ihre Rolle mit ein paar zu vielen Details ausgeschmückt worden sein. So war am 18. Juni 2008 in der «New York Times» folgende Version des Protests gegen die Grundsteinlegung zu lesen: Die Honoratioren der Uniklinik hatten sich zur Zeremonie versammelt. Doch plötzlich tauchten lärmende afroamerikanische
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