Mick Jagger: Rebell und Rockstar
gab es immer noch erhebliche Probleme und Spannungen. Der allgegenwärtige Rassismus war ebenso wie die Unterdrückung oder die Einschränkung der Meinungsfreiheit an vielen Orten der Welt einfach ein Thema, vor dem man als verantwortungsbewusster Künstler nicht die Augen verschließen konnte. (Das taten auch die Stones nicht. Doch keineswegs leisteten sie, wie es manche gerne glauben möchten, einen erheblichen Beitrag zum Zusammenbruch des Ostblocks. Dass die Stones nun endlich dort auftreten konnten, passte zur Euphorie und Aufbruchstimmung der nun freien, selbstständigen Staaten, und so jubelte die Presse »Stones Roll In, Tanks Roll Out«, als die Stones auf Einladung des neuen tschechischen Präsidenten Vàclav Havel in Prag auftraten.)
Ende der 80er lebte Vernon Reid, der damals noch keine dreißig Jahre alt war, in der Bowery in Lower Manhatten. Den Living-Colour-Gitarristen mit dem durchdringenden Blick und den wilden Dreadlocks kannte Mick Jagger zu dieser Zeit bereits persönlich. Reid hatte 1987 bei ihm vorgespielt, um als Studiomusiker an seinem Soloalbum Primitive Cool mitarbeiten zu dürfen. Als Blues-, Jazz-, Pop-, Punk-, Reggae-, Heavy-Metal- und Hip-Hop-Fan war er nur zu gut mit der paradoxen Situation vertraut, dass ein Schwarzer, der eine straighte Rock’n’Roll-Gitarre spielte, sowohl von Fans als auch von der Musikindustrie als ziemlicher Sonderling betrachtet wurde. Viele sahen in Jimi Hendrix mit seiner weißen Rhythmusgruppe den Ersten und Letzten seiner Art. Funkadelic brillierten mit Gitarrenkunststücken (beispielsweise Eddie Hazels Solo auf dem Titelstück des Albums Maggot Brain ) und die Bad Brains waren von dem Cars-Frontman Ric Ocasek produziert worden, aber diese Leistungen wurden nur von einer kleinen Gruppe eingeweihter Rock- und Punkfans gewürdigt. Heute ist die Musikbranche ethnisch derart breit durchmischt, dass dieses Vorurteil, Schwarze können keine großen Rockgitarristen sein, völlig aberwitzig klingt, aber 1987 war es so sehr in den Köpfen der Leute verwurzelt, dass es nicht nur die Weißen verinnerlicht hatten. So griff eine Handvoll Hip-Hopper unter der Regie des späteren Jagger-Produzenten Rick Rubin auf Rock’n’Roll-Gitarristen aus der Heavy-Metal- und Hard-Rock-Szene zurück, wobei vor allem Musiker von Bands wie AC/DC und Led Zeppelin zu den Auserwählten zählten, ebenso wie Billy Squier. Doch auch diese Form der Zusammenarbeit wurde von vielen Musikfans mit Argwohn wahrgenommen. Die Barriere zu der von Weißen dominierten Rockmusik durchbrachen Run-DMC mit ihrer berühmten Coverversion von »Walk This Way«. Die Hip-Hopper überarbeiteten den Aerosmith-Song komplett, sie rappten statt zu singen und nahmen mit Unterstützung von Steven Tyler und Co. den Song neu auf. Das Resultat war ein visionärer Hit. In der Folge konnten sich auch Musiker wie Schoolly D und Boogie Down Productions mit stilistisch ähnlich gearteten Songs in den Charts platzieren. Doch die Kluft zwischen dem real existierenden schwarzen Hardrock und dessen öffentlicher Wahrnehmung war 1985 immer noch so groß, dass Vernon Reid gemeinsam mit dem Journalisten Greg Tate und anderen schwarzen Musikern eine Initiative namens Black Rock Coalition gründete, die sich mittels Öffentlichkeitsarbeit des Problems annahm.
© Paul Natkin/Archive Photos /Getty Images
Die Stones und Living Colour backstage während der Steel Wheels -Tour 1989: Ron Wood, Mick Jagger, Will Calhoun und Corey Glover (hintere Reihe v. l. n. r.), Vernon Reid, Keith Richards, Muzz Skillings, Bill Wyman und Charlie Watts (vordere Reihe v. l. n. r.).
»Das Problem, das eine Band wie Living Colour in den Augen und Ohren der Leute darstellte, die Entscheidungen trafen, war damals alles andere als gering«, erinnert sich Reid. »Das Schubladendenken war immer noch weit verbreitet. ›Little Red Corvette‹ von Prince galt als Aufsehen erregend und revolutionär. Heute sieht man in ›Little Red Corvette‹ nicht mehr als einfach einen netten Song; eine noch unhärtere Rocknummer ist kaum denkbar. Doch damals war da dieser eine Kerl mit diesem einen Song, der es irgendwie geschafft hatte. Das war immer noch eine ziemliche Seltenheit. Es gab durchaus Leute, die an uns interessiert waren (bevor wir Mick trafen), die die Band weiterempfahlen. Um ein Haar wären wir sogar bei Elektra Records gelandet. Wir hatten es schon bis ganz rauf zum Label-Chef geschafft. Und der sagte dann: ›Nein.‹«
Mick Jagger, den schon lange
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