Mick Jagger: Rebell und Rockstar
erzählen. »Ich entschied mich ganz bewusst dazu, der Band nichts zu erzählen«, so Reid. »Unser damaliger Manager flüsterte mir zu: ›Jeff Beck und Mick Jagger sind im Publikum‹, und ich entgegnete: ›Ok, alles klar‹. Und dann versuchte ich, sofort wieder zu vergessen, dass sie da waren. Und das ist mir tatsächlich auch gelungen, denn ich hatte während des Gigs komplett verdängt, dass uns die beiden zusahen. Einem Teil von mir war klar, dass sonst alles in die Hose gegangen wäre. Und so haben wir an diesem Abend eine unserer besseren Shows im CBGB abgeliefert.«
Mick Jagger, der von dem Auftritt völlig begeistert war, traf Vernon Reid und die Band nach der Show. »Würdet ihr mich ein Demo für euch produzieren lassen?«, fragte er. »Die Frage war genau so gemeint«, erinnert sich Reid. »Das hatte nichts, was unterschwellig anmaßend war im Sinne von: ›Ich kann Dinge, zu denen ihr nicht fähig seid.‹ Seine Frage war absolut ernst gemeint: ›Würdet ihr es mich tun lassen?‹« Primitive Cool stand kurz vor der Abmischung, und Mick fand diese Produktionsphase zeitweise ein wenig langweilig. Er suchte nach etwas Spannendem, womit er sich die Zeit vertreiben konnte. »Ich bin noch eine Weile hier«, ließ er die Band wissen. »Es war eine einfache Anfrage von Musiker zu Musiker«, sagt Reid. »Ich habe eine Menge Jungs seiner Generation kennengelernt, den Rockadel, und es ist schon erstaunlich, in welch unterschiedlichen Sphären sie sich bewegen. Das sind Rockstars, doch die meisten sind unheimlich bescheiden. Sie wissen wie unbeständig das ganze Business ist, und in musikalischen Fragen ist mir kaum mal einer arrogant gekommen. Ich finde, Mick war ein großartiger Produzent. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, eine Kassette für unseren Sänger Corey Glover aufzunehmen. Mit echten Blues-Raritäten. Er nahm ihm eine Kassette auf!«
Das Demotape, das eine Version des späteren Hits »Glamour Boys« und eine des politisch ambitionierten »Which Way to America?« enthielt, wurde CBS Records vorgelegt, wo man Living Colour dank der Fürsprache ihres berühmten Förderers und der Qualität ihres Demos einen Vertrag anbot. Nun konnte die Band rasch mit der Arbeit an ihrem Debütalbum Vivid beginnen. Mick Jagger, der mit dem letzten Stones-Album Dirty Work nicht hatte auf Tour gehen wollen, entschied jetzt, mit seinem Soloalbum Primitive Cool auf Asientour zu gehen. Keith, der mit einem Set, das nur zu einem Bruchteil aus Solomaterial bestand und sich in der Hauptsache aus Stones-Klassikern zusammensetzte, die von einer Gruppe Stones-Lookalikes vorgetragen wurden, nicht einverstanden war, brachte er damit noch mehr auf die Palme. »Mir war absolut nicht bewusst, wie brenzlig die Situation tatsächlich war«, so Reid. »Mick sprach nie schlecht über Keith. Die Rolling Stones waren nie ein Thema zwischen uns. Keith wiederum hätte nicht herzlicher und freundlicher sein können, als ich ihn einige Zeit später kennenlernte. Als ich Micks Namen erwähnte, machte er allerdings eine auffällige Veränderung durch, wie ich es bei der simplen Erwähnung eines Namens noch nie bei jemandem beobachtet hatte. Sein Ausdruck verfinsterte sich im wahrsten Sinne des Wortes, genauso, als würde sich Larry Talbot in einen Werwolf verwandeln. Er hätte nicht grimmiger wirken können.«
Von nun an sollte es jedoch bergauf gehen, sowohl bei den Stones als auch bei Living Colour. Vivid war ein exzellentes Debütalbum. Jaggers Engagement öffnete der Band viele Türen und sorgte dafür, dass ihnen großes Interesse entgegengebracht wurde. Doch angesichts ihres musikalischen Stils und ihrer wilden Shows (und eben auch ihrer Radlerhosen) war das mediale Echo zunächst eher reserviert. Und so verkaufte sich das Album anfangs nur schleppend. Die Radiomacher wussten nicht so recht, was sie von der Band halten sollten. Die Jungs liefen rum wie David Lee Roth, aber ihr gewagter Sound klang eher nach Blues. Die intelligenteren Musikjournalisten schätzten sie. Robert Hilburn, der einflussreiche Kritiker der Los Angeles Times (der schon früh das außergewöhnliche Talent von aufstrebenden Künstlern wie Bruce Springsteen oder U2 erkannt hatte), kürte sie neben Sonic Youth und Metallica zu einer der »zwanzig wichtigsten Bands«. Und dabei brachte Hilburn noch das ethnische Problem, mit dem die Band zu kämpfen hatte, genau auf den Punkt: »Der kometenhafte Aufstieg des New Yorker Quartetts auf dieser Liste lässt sich
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