Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Mädchen-Nummer. Mick und Keith trauten sich erst gar nicht, ihn für eine Aufnahme mit der Band vorzuschlagen (die erste Eigenkomposition, die für wert befunden wurde, ein Stones-Titel zu werden, war das Anfang 65 geschriebene »The Last Time«). Hätten die Stones etwas für sich selbst geschrieben, wäre dabei kaum eine so empfindsame und softe Nummer herausgekommen wie »As Tears Go By«.
Nicht selten verdanken die größten Kunstwerke ihre Entstehung der ursprünglichen Absicht, eine Frau zu beeindrucken. Und die hieß in diesem Fall Marianne Faithfull, eine ehemalige Klosterschülerin mit einem hübschen Gesicht und einer guten Figur, oder wie Oldham es ausdrückte »ein Engel mit dicken Titten«. Die jungen Stones und ihr Manager waren aber nicht nur aus diesem Grund von der jungen Dame angetan. Marianne Faithfull war die Tochter von Eva von Sacher-Masoch und dem hochangesehenen Offizier und Intellektuellen Major Robert Glynn Faithfull. Ihr Großonkel war der berüchtigte Leopold von Sacher-Masoch, dessen erotische Erzählungen (die berühmteste ist wohl »Venus im Pelz«) Verhaltensweisen schilderten, für die später der Begriff »Masochismus« geprägt wurde. Faithfull war zwar durchaus gebildet, jedoch in sexueller Hinsicht ziemlich unerfahren. Die perfekte Tochter für das neue Zeitalter. Außerdem war sie – wie Mick, der sie unwiderstehlich fand, wiederholt zu hören bekam – bereits vergeben. 1965 heiratete sie den drei Jahre älteren Kunstmagnaten John Dunbar, ein Mitglied der besten Londoner Kreise.
© Dezo Hoffmann/Rex USA
Mit Partnerin und Muse Marianne Faithfull, 1968.
»John rief mich an und schwärmte, er habe diese ganz und gar außergewöhnliche Frau kennengelernt, in die er sich Hals über Kopf verliebt habe. Sie sei so wunderschön und atemberaubend, ich müsse sie unbedingt kennenlernen«, sagt Peter Asher, der mit John Dunbar befreundet war. »Also traf ich sie, und alles, was er gesagt hatte, stimmte. Ich dachte: ›Junge, Junge, John hat wirklich den Vogel abgeschossen. Sie ist absolut umwerfend, sehr intelligent – einfach in jeder Hinsicht perfekt.‹«
Asher begleitete die beiden an einem Abend im März 1964, der das Leben von Marianne Faithfull nachhaltig verändern sollte. Gemeinsam besuchten sie eine Party anlässlich einer Plattenveröffentlichung der italienischen Sängerin Adrienne Posta. Zu Gast waren dort auch Andrew Loog Oldham und die Stones. »Marianne kannte sie noch nicht persönlich. Andrew hatte sie wohl zuerst entdeckt, aber ich bin mir sicher, dass auch Mick nicht lange brauchte, um auf sie aufmerksam zu werden. Sie war einfach phänomenal. Sie konnte einen ganzen Raum erstrahlen lassen. Andrew ging zu ihr und fragte sie: ›Kannst du singen? Wir werden eine Platte mit dir aufnehmen. Du wirst ein Star.‹ Dann fragte er die Stones: ›Schreibt ihr einen Song für das Mädel?‹«
Die Stones, bei deren Auftritten sich damals bereits Hunderte weiblicher Teenager vor Aufregung und Verzückung in die Hosen machten, beeindruckten Marianne Faithfull nicht sonderlich. »Zu dieser Zeit waren die Stones kaum mehr als rüpelhafte Schuljungs«, erinnert sie sich in ihrer Autobiografie. »Sie hatten nicht den Schliff eines John Lennon oder eines Paul McCartney, und im Vergleich zu meinem John wirkten sie erst recht grobschlächtig und flegelhaft.«
Mick, Keith, Brian und Oldham waren Asher zufolge hingerissen von diesem »selbstsicheren, wohlerzogenen Mädchen aus der Oberschicht«. Aber Faithfull hatte kein Interesse daran, Popsängerin zu werden, und Mick und Keith wollten ihre knapp bemessene Freizeit nicht unbedingt mit Arbeit verbringen – noch nicht einmal, wenn es dabei um eine sehr attraktive Frau ging. Oldham ließ jedoch nicht locker, denn er hatte einen für sie alle nützlichen und äußerst lukrativen Plan. »Ich war davon überzeugt, dass die Leute alles, was sie meiner Meinung nach sein konnten, am Ende auch werden. Mick und Keith jammerten und stöhnten unentwegt, sie seien von all ihren Gigs zu erschöpft, um auch noch Songs zu schreiben.« Oldham ließ nicht locker und redete unablässig auf Marianne Faithfull ein, was diese zumindest ein bisschen neugierig machte. Sie gab zwar nicht viel auf seine Versprechungen und hochfliegenden Pläne, spürte allerdings, dass sie es hier mit einem Original zu tun hatte, jemandem, den man sich mal näher ansehen sollte. Als sie die Party verließ, ahnte sie, dass sie Oldham wiedersehen würde. Sie hatten die
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