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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Spitz
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melodramatisches »You Better Move On« und ihr eigenes »Tell Me«. Und zu guter Letzt spielten sie »As Tears Go By« auch selbst ein. Veröffentlicht im Dezember 65, markierte diese Aufnahme den Ausklang eines Jahres, das musikalisch gekennzeichnet war von Hits wie »Yesterday« und »You’ve Got to Hide Your Love Away« von den Beatles, Dylans »Desolation Row« und »Go Now« von Moody Blues. Zusammen mit Jaggers Version von »As Tears Go By« standen all diese Songs am Beginn einer neuen Ära klassisch-melancholischer Popmusik, die noch so unter die Haut gehende Meisterwerke hervorbringen sollte wie »Waterloo Sunset« von den Kinks und »Walk Away Renée« von Left Banke. »Das Geheimnis guter Songwriter ist, woher sie kommen«, konstatiert Asher. »Als ich die Nummer zum ersten Mal hörte, dachte ich: ›Oh, wow, solche Songs können Mick und Keith schreiben. Sie versuchen nicht mehr nur, ihre R’n’B-Idole zu kopieren.‹ Es liegt auf der Hand, warum sie immer noch dabei sind.«
    Das sieht Marianne Faithfull genauso: »Es ist ein absolut außergewöhnlicher Song für einen Zwanzigjährigen. Ein Song über eine Frau, die mit nostalgischen Gefühlen auf ihr Leben zurückschaut. Das Unheimliche daran ist, dass Mick diesen Text schrieb, lange bevor das alles (mit uns) passierte. Es ist so, als würde unsere gesamte Beziehung in diesem Song vorweggenommen. Eine Menge Leute haben das so gesehen.«
    1966 hatte Mick Mariannes Herz schließlich erobert. Er hatte sich von Chrissie Shrimpton getrennt, hatte Marianne John Dunbar ausgespannt und sogar die kurze Phase ausgestanden, als sie sich anfänglich in Keith verguckt hatte. Innerhalb eines Jahres wurden sie zu dem gefeierten Thronfolgerpaar eben jener Chelsea-Szene, zu der Mick partout hatte gehören wollen. Gewiss, mit der Zeit ging auch ihre Beziehung in die Brüche, doch in der Mythenwelt des Pop bleiben sie für immer verbunden. Als Martin Scorsese »As Tears Go By« für Shine a Light filmte, zeigte er Mick majestätisch im Profil; mit seiner mit dem Alter tiefer gewordenen Stimme artikuliert er jedes Wort ganz deutlich, wie ein Darsteller in einem Shakespeare-Drama, der den Lear oder den Prospero gibt: langsam, bedächtig und wahrhaftig. Auch Marianne Faithfull nahm den Song noch einmal auf, als sie schon älter war. »Ich spielte ihn noch mal ein, als ich vierzig war«, sagte sie, »und das war genau das richtige Alter und ich war in der richtigen Verfassung, ihn zu singen. Erst da empfand ich die poetische Melancholie, die dem Song innewohnt.«
    »Es ist eine Metapher für das Alt-Sein: Man beobachtet die Kinder beim Spielen und erkennt, dass man selbst kein Kind mehr ist«, erläuterte Jagger 1995. »Verglichen mit den restlichen Sachen von damals ist das ein ziemlich reifer Song. Und wir haben (anfangs) gar nicht daran gedacht, ihn selbst aufzunehmen, weil die Rolling Stones doch so eine virile Bluescombo waren.« Nach »As Tears Go By« waren sie viel mehr als das.
    Als ich Marianne Faithfull für die Vanity Fair- Website interviewte, fragte ich sie, ob sich ihr Verhältnis zu dem Song über die Jahre verändert habe. »Das hat sich in der Tat verändert«, antwortete sie. »Aber ich mag ihn immer noch sehr. Weil er wirklich gut ist. Eine Menge Leute hatten nicht das Glück, einen so guten Stones-Song als Coverversion einspielen zu können. Ich bekam den besten.« Als ich sie darauf hinwies, dass sie der Band durchaus auch etwas gegeben hätte, nämlich einen Riesenhit, der ihnen ein bisschen Selbstvertrauen gab, um sich dem neuen, gefühlvollen, feminin angehauchten Trend in der Musik zu öffnen, stimmt sie mir zu. »Ja, das habe ich sicher getan.« Vor dem Hintergrund von Micks eindrucksvoller Darbietung in Shine a Light (den sie anscheinend nicht gesehen hat) frage ich sie, wie es sich für sie anfühlt, »As Tears Go By« heute zu singen, wo sie die sechzig bereits überschritten hat. »Er kommt mir vor wie ein sehr alter Freund«, antwortet sie.

    © Gamma-Keystone via Getty Images
    Mick Jagger und Marianne Faithfull auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung, in der beide des unerlaubten Drogenbesitzes beschuldigt wurden, 1969.

WIR
PISSEN,
WO WIR
WOLLEN,
MANN
KAPITEL 5

1965 lief es für die Stones großartig: Sie hatten Hits, sie hatten Sexappeal, nach »As Tears Go By« hatten sie sogar eine empfindsame Seite. Was ihnen fehlte, war die eine entscheidende Zutat, die den Unterschied deutlich machte zu den gewöhnlichen aufstrebenden Popstars

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