Mick Jagger: Rebell und Rockstar
bereits aufgenommen worden war.) Das Gezeigte scheint zu suggerieren, dass es so etwas wie Spontaneität nicht gibt. Alles, selbst Rock’n’Roll, ja sogar die Revolution ist in irgendeiner Form ein Konstrukt. Der Produzent von Godards erstem englischsprachigen Film war sehr angespannt in Anbetracht dieses Prestiges und des kommerziellen Potenzials eines Stones-Konzertfilms (denn als genau das wurde der Film später vermarktet). Mit dem Film (den Godard One Plus One genannt hatte) war der Produzent nicht zufrieden, weshalb er eine neu geschnittene Fassung erzwang, in der die Stones »Sympathy for the Devil« einmal ganz durchspielten. Als die Band den fertigen Film sah, wusste sie nicht, was sie davon halten sollte. Nachdem der Streifen angelaufen war, trugen Mick und Godard in der Presse ihre Meinungsverschiedenheiten aus. Nach der Bedeutung des Films gefragt erklärte Mick – sichtlich irritiert darüber, derjenige zu sein, der den britischen und amerikanischen Pressevertretern das Projekt erklären sollte: »Ich habe keine Ahnung. Diese süße Zuckerschnecke, die Hauptdarstellerin [Anne Wiazemsky], kommt nach London und stürzt mit irgendeinem schwarzen Typen ab, sie kommt irgendwie mit Drogen in Berührung oder so was.« Als Godard erklärte, die Band habe sich von ihm abgewandt, als der Produzent begonnen hatte sich einzumischen, beschimpfte Mick ihn im Gegenzug als »Arschloch«.
»Die radikalen Bilder, die mit den Stones in Zusammenhang gebracht wurden, erzielten beschissenerweise nicht die offenbar beabsichtigte Wirkung«, sagt Farren. »Da war dieser wahnsinnig interessante Film über die Sessions zu Beggars Banquet , in den eine Menge Mädels reinmontiert worden waren, die auf irgendwelchen gebrauchten Autos standen und über den Vietcong laberten. Wären nicht Godard und die Stones daran beteiligt gewesen, hätte man es für amateurhaften Studentenmist gehalten. Es war gut gemeint, aber der Film erzählte mir nichts, was ich nicht schon wusste.«
»Street Fighting Man« war die erste Singleauskopplung aus dem angekündigten neuen Album Beggars Banquet . Die Radiosender erhielten die Single im August, nur wenige Tage bevor in Chicago der Parteitag der Demokraten begann. Fünfzehntausend Antikriegsdemonstranten versammelten sich in Lincoln Park und gerieten mit der Polizei aneinander, weil sie sich weigerten, die Sperrstunde zu beachten. Die Veröffentlichung der Single war perfekt getimt und bestätigte Mick in der Auffassung, dass er als Sänger viel einflussreicher war als er es als Demonstrant je sein konnte. Haskell Wexlers Medium Cool , ein frühes Dokudrama mit zahlreichen echten Filmaufnahmen der Chicago Riots, beginnt mit einer ähnlichen Feststellung: Auf einer Cocktailparty, auf der Journalisten die Frage diskutieren, inwiefern sie in ein Geschehen eingreifen sollen, wenn sie mit blutüberströmten Menschen und Ungerechtigkeiten konfrontiert werden, erklärt einer der Anwesenden bedauernd: »Alle vernünftigen Menschen beklagen Missstände mit einer gewissen Distanz zum Geschehen.«
»Street Fighting Man« wirkt bei Weitem nicht so veraltet wie andere Songs der Kategorie »Kommt Leute, reicht euren Brüdern die Hand«, was wohl vor allem daran liegt, dass die Nummer regelmäßig von Nachrichtensendern als Soundtrack für Berichterstattungen über alle möglichen revolutionären Umwälzungen eingesetzt wird – zuletzt noch bei den Aufständen in Tunesien und Ägypten. Dennoch erinnert er Mick immer daran, dass er ehrlich überlegt hat, selbst den Palast zu stürmen, bevor er sich der Grenzen seiner Einflussmöglichkeiten bewusst wurde. »Dichter unterschreiben keine Petitionen«, erklärt ein Dichter, der Vater eines jungen französischen Achtundsechzigers, in einer Schlüsselszene von Bernardo Bertoluccis Die Träumer . »Sie signieren Gedichte.« Jagger, der Rockstar war für die Revolution wertvoller als Jagger, der Steinewerfer. »Zum Marschieren braucht man gute Musik«, sagte er später einmal, »aber gute Musik macht noch keinen Marsch.«
In den folgenden Jahrzehnten distanzierte sich Mick nach und nach völlig vom politischen Aktivismus. Es gibt einen amüsanten Wortwechsel zwischen Mick und dem amerikanischen Politaktivisten Abbie Hoffman in Stanley Booths The Rolling Stones: Der Tanz mit dem Teufel . »Könnt ihr uns etwas Geld für unseren Prozess leihen? Es ist teuer, die Revolution durchzuziehen.« »Wir zahlen schon genug für unsere eigenen Prozesse«, witzelt Mick.
Im
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