Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Film mehr. Anita Pallenberg, Keith Richards und Marianne Faithfull machten in den folgenden Jahren einen durch Drogen, Krankheiten und andere Verfallssymptome geprägten Niedergang durch. Cammell drehte noch drei weitere Filme, bevor er 1996 Selbstmord beging. Als Keith Richards Jahre später nach seiner Meinung zu Performance gefragt wurde, sagte er: »Es war das Beste, was Cammell je gemacht hat, abgesehen davon, sich zu erschießen.« Selbst gut vier Jahrzehnte später hegte er immer noch Groll und ließ es sich nicht nehmen, in seiner Autobiografie Life darauf hinzuweisen, dass Mick einen »winzigen Pimmel« habe. Auch hier nahm Keith es wieder einmal nicht so genau, wobei diese Aussage vor allem von denjenigen begeistert aufgenommen wurde, die auch schon über seinen »Brenda«-Witz herzlich gelacht hatten. Zwar ziert das Sticky Fingers -Cover das verpackte, durchaus beeindruckende Gemächt von Warhol-Star Joe Dallesandro und nicht das von Mick, dennoch gibt es von Anita Pallenberg geschossene Fotos, die Mick splitterfasernackt auf einem Bett zeigen – auf einigen bedeckt er seine Blöße mit der Hand, auf anderen nicht. Begnügen wir uns damit, dass sein gutes Stück im Vergleich zu den Genitalien anderer Rocklegenden von normaler Größe ist, auf jeden Fall ist es weder größer noch kleiner als Lennons Schlaffi auf dem Cover von Two Virgins . Das abschließende Wort zum Thema gebührt Jerry Hall, die es nach ihrer zweiundzwanzigjährigen Beziehung zu Mick wohl am besten wissen sollte: »Mick ist sehr gut bestückt. Keith ist nur eifersüchtig.«
Die einzige Figur aus Performance , die auf der Leinwand stirbt, ist Turner. (Seine letzten Worte lauten: »Ich weiß nicht …«) Chas bringt ihn um, bevor ihn die Schläger erwischen, die ihn endlich ausfindig gemacht haben. Dennoch schien der Turner-Mime Mick Jagger der Einzige aus dem Filmteam zu sein, dem im wirklichen Leben keine Tragödie widerfuhr.
Doch so folgenlos, wie er es sich vielleicht gewünscht hatte, blieb sein Ausflug ins Filmgeschäft nicht. Seine kreative Partnerschaft mit Keith war weiterhin von Erfolg gekrönt, ihr eigentlicher Höhepunkt stand sogar noch bevor. Aber die Freundschaft, die ihr eigentlicher Antrieb gewesen war, hatte darunter nachhaltig gelitten. »Das hat uns möglicherweise mehr entzweit als alles andere«, schrieb Keith in Life . »Wahrscheinlich sogar für immer.«
In Der Herr der Fliegen wird der asthmatische Piggy, nachdem er einen allerletzten Versuch unternommen hat, die Ordnung wiederherzustellen, von herunterfallenden Felsbrocken erschlagen, während er sich an das Muschelhorn klammert. Man kann nicht durch steiniges Gelände navigieren und gleichzeitig das Muschelhorn halten. Als das Muschelhorn erst einmal zerstört war, fielen die Stones in einen Zustand wilder Anarchie zurück. Früher hatten Mick und Keith hundertprozentig zusammengehalten und der Welt die Stirn geboten: Mick war Keith ergeben gewesen und hatte ihm den Vortritt gelassen, Keith hatte Mick in dem, was er tat, bestärkt und ihn in Schutz genommen. Von nun an musste alles, was im Studio passierte, sowohl von Mick als auch von Keith abgesegnet werden. Damit begann eine lange Phase mit zahllosen Debatten, aus der durchaus einige Meisterwerke hervorgingen (Micks »Moonlight Mile«, der letzte Song auf Sticky Fingers , der völlig Keith-frei ist, und natürlich Exile on Main Street ), der selbst wiederum jedoch eine lange und wenig kreative Phase Mitte der 70er folgte. Mick hatte nicht wissen können, welche langfristigen negativen Folgen seine Entscheidung, die Rolle des Turner zu übernehmen, zeitigte. Die entscheidendsten waren Keiths lang anhaltende Heroinsucht und der tiefe Riss in dem fest gewebten Band, das die Stones zusammenhielt. Doch Keith wusste auch, wie es war, mit Marianne Faithfull zu schlafen. In seiner Autobiografie schildert er, wie er mit ihr im Bett liegt und seine Socken zurücklassend schnell durchs Fenster flüchten muss, als Mick gerade heimkommt. Keith stellt dieses einmalige Intermezzo mit Micks Freundin als Rachefick dar, was an sich schon ziemlich kleingeistig ist (und es braucht gewiss Einiges, damit sich Keith so verhält).
Als eine Dokumentation über Wahnsinn, Verfall, Betrug und Begierde ist Performance einzigartig. Mick, der nur aus Lippen, blasser Haut und dunklen Haaren zu bestehen scheint, hat nie besser ausgesehen als in der Anzugweste, die seine muskulösen Arme betont. In einer Szene schwenkt er tanzend eine
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