Mick Jagger: Rebell und Rockstar
nach der Ermordung von Robert Kennedy, verarbeitete der Songwriter und Bandleader das traurige Ereignis mithilfe seiner Arbeit. Wieder einmal fand es explizit Eingang in seine Lyrics. Während Donald Cammell noch mit dem Filmschnitt von Performance beschäftigt war, legte Mick ohne jede Hilfe von Keith letzte Hand an das musikalische Glanzlicht des Streifens, »Memo from Turner«. Und »The baby’s dead, my lady said« ging noch ein in die letzte schaurige Zeile des Songs.
Marianne Faithfulls eigene musikalische Karriere lag seit der Redlands-Affäre auf Eis. Sie war frustriert angesichts der Aussicht, ihr Leben als Miss X, die Frau mit dem Marsriegel, fristen zu müssen (und in ihrer partnerschaftlichen wie professionellen Beziehung zu Mick immer nur die zweite Geige zu spielen). Den Kummer über ihre Fehlgeburt und ihren unbefriedigenden Status betäubte sie ab 1969 mit Heroin. Die Droge wirkte schneller und intensiver als Alkohol oder sämtliche Pillen, die sie bis dahin ausprobiert hatte. Der Heroinkonsum war für sie schnell von einer salonfähigen Spielerei in Chelseas dekadenten Kreisen zu einer ausgewachsenen Sucht geworden. Äußerlich wirkte sie zwar immer noch wie die engelsgleiche Unschuld von »As Tears Go By«, aber innerlich war sie durch und durch verbittert und unzugänglich geworden, eine Frau, die die Rolle verachtete, die ihr im Rolling-Stones-Kosmos zugedacht war. »Es war nicht meine Bestimmung, das Spielzeug eines großen Rockstars zu sein«, erklärte sie später einmal. Noch heute ärgert sie sich darüber, dass sie niemals ganz dem Dunstkreis der Stones entrinnen konnte. Als ich sie für die Vanity Fair -Website interviewte, beklagte sie sich: »Das meiste davon ist gelogen. Es ist ein Bild, das die Boulevardpresse von mir gezeichnet hat. Und das bin nicht ich. Sie wissen das. Wenn Sie meine Arbeit kennen, müssen Sie das wissen. Es hat meiner Karriere überhaupt nicht gutgetan. Was ihr gutgetan hat, waren ›As Tears Go By‹ und ›Sister Morphine‹. Die Boulevardpresse hat ihr nicht gutgetan, aber so wie sie mich sah, sehen mich tausende von Menschen traurigerweise heute immer noch. Als Mick Jaggers Exfreundin, bla bla bla.«
Wie Anita Pallenberg wandte auch sie sich in dieser Zeit dem Filmgeschäft zu und wählte einige Rollen aus, von denen sie glaubte, dass sie ihr helfen würden, eine Nische im Stones-Universum zu besetzen. Sie hoffte, etwas ganz Eigenständiges zu schaffen, was ihr zu einer gewissen Unabhängigkeit verhelfen und so ihre Selbstachtung steigern konnte. Nackt unter Leder , einer der Filme, in denen sie mitspielte, ist zweifellos ein typischer Sixties-Schundfilm. Doch sein Thema, der Ton, den er anschlägt, und das Drehbuch spiegeln ganz gewiss den Frust wider, unter dem Marianne Faithfull im wahren Leben zu leiden hatte. Sie spielt in dem Film die sexuell frustrierte Ehefrau eines Professors. Eines Nachts, als ihr Mann schläft, schleicht sie aus dem Haus, schlüpft vollkommen nackt in einen hautengen Lederoverall, fährt mit ihrem Motorrad durch die Landschaft und träumt von einem Stelldichein mit ihrem Geliebten, der von Alain Delon gespielt wird und fast ebenso gut aussieht wie sie. Trotz aller plumpen Anzüglichkeiten (der Tankrüssel wird ganz langsam in den offenen Benzintank geführt), zeitgenössischen Phrasen (»Rebellion ist das Einzige, was dich am Leben hält.«) und abgedroschenen Anmachsprüche (»Dein Körper erinnert mich an eine Geige in einer mit Samt ausgeschlagenen Schatulle.«) gelingt es dem Film, Faithfulls fragilen Zustand, ihre emotionalen Verletzungen und ihr eigenes Spiel mit dem Tod einzufangen. (Ihr Film-Ich tritt tatsächlich vor seinen Schöpfer; der Weg dorthin führt in James-Dean-Manier durch die Windschutzscheibe eines entgegenkommenden Pick-ups.)
Außerdem wirkte Marianne Faithfull in London bei einer Aufführung von Tschechows Drei Schwestern mit und spielte die vom Schicksal gebeutelte Ophelia in Shakespeares Hamlet . Sie fand immer die richtige Position auf der Bühne und rezitierte gekonnt jambische Pentameter, während das Heroin, das sie sich hinter der Bühne gespritzt hatte, durch ihren Körper pulsierte. Sie war zu einem Garanten für schlechte Presse geworden, doch Mick hielt zu ihr. Er liebte sie noch immer und wollte mit ihr eine Familie gründen. Er hatte eine glückliche Kindheit erlebt, und als er älter wurde und sich wiederholt mit dekadenten Auswüchsen konfrontiert sah, wurde sein Wunsch immer stärker, selbst
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