Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Park das Gratiskonzert von Eric Claptons, Ginger Bakers und Steve Winwoods neuer Supergroup Blind Faith gesehen, das eine riesige Menschenmenge angezogen hatte. Und er hatte gewettet, dass die Stones ein noch größeres Publikum anlocken könnten. Blind Faith hatten den Stones sozusagen den Fehdehandschuh hingeworfen, als sie bei ihrer Show den Stones-Song »Under My Thumb« coverten. Blind Faith brillierten mit ausufernden Improvisationen und Soloeinlagen, doch die Stones brauchten sich nicht zu versteckten. Sie waren eine erstklassige Liveband und Mick war ein Entertainer, der seinesgleichen suchte.
© Dezo Hoffman/Rext USA
Die Rückkehr der Stones auf die Bühne im Londoner Hyde Park am 5. Juli 1969 wird zur Gedenkfeier für den zwei Tage zuvor verstorbenen Brian Jones.
In der Nacht zum 3. Juli arbeiteten die Stones gerade in den Olympic Studios an der Aufnahme ihrer großartige Coverversion des Stevie-Wonder-Songs »I Don’t Know Why I Love You«, als sie erfuhren, dass Brian Jones von einer Freundin und einem Bauunternehmer namens Frank Thorogood tot auf dem Grund seines Swimmingpools gefunden worden war. (Thorogood legte Jahre später auf seinem Sterbebett übrigens das fragwürdige Geständnis ab, er habe Brian Jones ermordet.)
Die Band sagte das Hyde-Park-Konzert nicht ab, sondern machte daraus eine Gedenkfeier für ihr verstorbenes Ex-Mitglied. Kurzfristig orderten sie Pappaufsteller mit Brian Jones’ Konterfrei. (Die Bilder dazu stammten vom PR-Fotoshooting für Beggars Banquet und zeigten Jones in seiner schlimmsten Drogenphase, doch was zählte, war die Absicht, seiner angemessen zu gedenken.) Mick bestellte außerdem tausend Kohlweißlinge, nachdem man zunächst darüber nachgedacht hatte, Tauben aufsteigen zu lassen, diese Idee dann aber doch verworfen hatte. Es sollte sowohl die überwältigende Rückkehr der Stones auf die Bühne als auch ein würdiges Requiem für ihren Bandmitbegründer werden – so zumindest war es geplant. Schlussendlich wurde es nichts von beidem. Als stünden sie noch nicht genug unter Druck, hatten die Stones dem Fernsehsender Granada erlaubt, die Show zu filmen. Logistisch gesehen galt es daher, einige Hürden zu nehmen, aber es gab niemanden, der sich wirklich darum kümmerte.
An dem großen Tag kam auch wie erwartet das große Publikum, doch der Funke sprang den meisten Berichten zufolge nicht über. Mick löste bei seiner Rückkehr auf die Bühne eher Befremden aus. Zunächst einmal wegen seines langen weißen Hemdes mit den weiten Ärmeln und seines Make-ups, das einer Drag Queen alle Ehre gemacht hätte. Nur seine langen dunklen Haare verliehen ihm noch eine gewisse Aura, ansonsten hatte er kaum etwas von einem Anführer, der alle in seinen Bann schlägt. Zudem wirkte es wie eine Vorausschau, auf die schrecklichen Ereignisse, die noch folgen sollten, als er das Publikum energisch bat, ruhig zu sein, weil er zum Gedenken an Brian Jones ein Gedicht vortragen wollte. »Bitte seid jetzt endlich ruhig«, ermahnte er die Menschenmenge, bevor er den Versuch startete, »Adonais« vorzulesen, Percy Shelleys Totenklage für John Keats. Die Menge wollte jedoch einfach rocken und ihren Spaß haben. Dennoch gelang es Mick Jagger, das Gedicht bis zum Ende vorzutragen, aber es ist schwer zu sagen, welche Gefühle er damit beim Publikum hervorrief. Mick kam nicht zur Beerdigung von Brian Jones, was er Journalisten gegenüber damit begründete, dass er nicht die Absicht habe, sich in Schwarz gekleidet in der Öffentlichkeit zu zeigen, weil er nicht glaube, dass der Tod zugleich auch das Ende der Existenz bedeute.
Nicht alle nahmen Mick ab, dass er sehr trauerte, denn immerhin war er durch den Tod von Brian Jones von heute auf morgen de facto zum Kopf der Stones geworden. Wieder einmal bekleidete er einen ähnlichen Posten wie damals als Aufsichtsschüler, nur dass die Strafen, die er jetzt verhängen konnte, um einiges härter waren.
Es gibt Bilder vom Hyde-Park-Konzert, auf dem eine strahlende Marianne Faithfull zu sehen ist, doch dieser Gesichtsausdruck täuscht. Überzeugt davon, dass sie Brian Jones’ Tod genau so vorausgesehen hatte wie er sich letztendlich ereignete, trübte sich ihr Geist ebenso schnell wie einst seiner, wenn nicht sogar noch schneller. Im siebten Schwangerschaftsmonat hatte sie zudem ihre Tochter verloren. »Die Fehlgeburt brachte uns beide um«, sagte sie. Marianne Faithfull deutet an, dass Mick mit der Tragödie besser zurechtkam als sie. Wie schon
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