Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Röhre mit purem weißen Licht. »Die einzige Performance, die wirklich überzeugt, ist die, die in den Wahnsinn führt«, erklärt er kurz vor dem Höhepunkt des Films. In Jaggers Leinwandkarriere gab es kein weiteres Highlight, das an dieses furiose Debüt heranreichte. Ganz gleich, was danach kam: Bei seinem ersten Versuch als Schauspieler hatte er rundum überzeugt.
ALL MY
FRIENDS
ARE
JUNKIES
KAPITEL 9
W er die Texte, die Mick Jagger Ende 1969, Anfang 1970 schrieb, genauer unter die Lupe nimmt, wird feststellen, dass es da- rin ein immer wiederkehrendes Thema gibt: Ein vom Schicksal gebeutelter Mensch braucht unbedingt die Hilfe eines Freunds.
»She said … you can rest your weary head on me«, singt Mick in »Let it Bleed«, dem Country-angehauchten Titeltrack des gleichnamigen Beggars Banquet -Nachfolgers. Die Platte beginnt mit dem in der Hauptsache von Keith geschriebenen »Gimmie Shelter«, und so wie Mick darin um Schutz und Zuflucht fleht, gibt es nicht die geringste Spur seiner sonst üblichen ironischen Distanz. »1969 war kein glückliches Jahr für Mick«, sagt Sam Cutler, der Road-Manager der triumphalen Nordamerika-Tour, mit der die Stones Let It Bleed promoteten – und die so tragisch endete.
Die Redlands-Affäre 1967, der Niedergang der Flower-Power-Bewegung durch Gewalt und harte Drogen 1968 und der allmähliche psychische und zuletzt auch physische Tod von Brian Jones 1969 hatten die Stones entkräftet und aus dem Tritt gebracht. Brian Jones hatte schon länger nichts Kreatives mehr zur Arbeit der Band beigetragen, und zuletzt versuchte er noch nicht einmal mehr so zu tun, als wäre er ein verlässliches Stones-Mitglied, das regelmäßig im Studio erscheint. Einmal, als die Stones gerade anfangen wollten, einen neuen Song zu proben, fragte er Mick »Was kann ich spielen?«, und Mick gab spöttisch zurück: »Ich weiß nicht. Was kannst du denn spielen?« Als ihnen in Aussicht gestellt wurde, auf eine lukrative US-Tour zu gehen, beschlossen Mick und Keith, sich von Brian zu trennen. Wie sie sagen, war das eine rein geschäftliche Entscheidung. Allen Klein, der Mann, der ihnen versprochen hatte, sie finanziell auf eigene Füße zu stellen, und dem es gelungen war, ihre Einnahmen aus den Tantiemen in astronomische Höhen zu treiben, hatte die Verlagsrechte der Band einer amerikanischen Scheinfirma zugeschustert, die denselben Namen trug wie ihr britisches Unternehmen: Nanker Phelge. Und damit besaßen sie nicht länger die Lizenzrechte an »(I Can’t Get No) Satisfaction«, »Ruby Tuesday« und all ihren anderen großen Hits aus den Sixties. Für die Steuern, die auf die Einnahmen aus ihren Plattenverkäufen erhoben wurden, mussten sie allerdings weiterhin selbst aufkommen. Der inzwischen ziemlich aufgedunsene Brian Jones war mit der Renovierungsplanung für sein neu erworbenes Anwesen beschäftigt. Er beschwerte sich vehement über die Richtung, die die Stones eingeschlagen hatten, und sprach immer wieder davon, die Band zu verlassen und seine eigene Gruppe zu gründen, die sich stärker am ursprünglichen Rock’n’Roll orientieren sollte. Er war davon überzeugt, dass Mick und Keith die Band verraten und in Richtung Popmusik gedrängt hatten, während er wie eh und je die Seele der Gruppe sei. Brian Jones war zu einer Belastung geworden, und sie brauchten einen Verbündeten, der ihnen half, ihn loszuwerden. Es gab keine andere Lösung, er musste die Band verlassen. Am Morgen des 8. Juni 1969 fuhren Mick und Keith zusammen mit Charlie Watts zu Brian Jones auf die Cotchford Farm, um ihm ihren Entschluss mitzuteilen. Mit dem jungen Bluesvirtuosen Mick Taylor hatten sie bereits Ersatz gefunden, und sie waren bereit, Brian Jones (der die Band immerhin gegründet und ihr den Namen gegeben hatte) eine für damalige Verhältnisse ordentliche Abfindung zu zahlen. Brian Jones nahm die Entscheidung schicksalsergeben hin, und ganz allmählich muss ihm klargeworden sein, dass er jeden Halt verloren hatte.
Die Stones arbeiteten zu dieser Zeit wie besessen, es musste einiges geplant, aufgenommen und eine Tour organisiert werden; sie waren dabei, ihr altes Kampfgewicht wiederherzustellen und ihr einstiges Tempo wiederzufinden. Ihre Livepremiere feierte die schlanker und wieder schlagkräftiger gewordene Truppe am 5. Juli 1969 im Hyde Park beim größten Rockevent, das es in Großbritannien bis dahin gegeben hatte. Zwei Tage bevor sie sich offiziell von Brian Jones trennten, hatte Mick im Hyde
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