Mick Jagger: Rebell und Rockstar
später. »Irgendjemand setzte sich mit Chris O’Dell in Verbindung, die mit Mick sprach, der wiederum an einem solchen Interview Interesse zeigte. Also machte ich mich bei Gelegenheit auf nach Los Angeles, wo ich meine Zeit dann damit verbrachte, auf Mick zu warten.« Simon kannte O’Dell über James Taylor, und es war ihr nicht schwergefallen, ein Treffen mit Mick zu vereinbaren. Als ein wenig schwieriger erwies es sich dann, sich tatsächlich mit Mick zu treffen. Sie hing schon fast eine ganze Woche in Los Angeles rum, bevor Mick sie schließlich anrief und ihr mitteilte, dass er in der Stadt sei. Er lebte damals immer noch in Südfrankreich und litt dermaßen unter der Zeitverschiebung, dass er lange über nichts anderes reden konnte als über seinen Jetlag. »Wir sprachen darüber, wie sehr wir beide Flugzeuge hassten«, sagte Simon. Doch irgendwie hatte es zwischen ihnen gefunkt, und sie versprachen einander, in Kontakt zu bleiben.
Als sie sich schließlich wiedersahen, glaubte sie, nicht mehr genügend Abstand zu haben, um sich journalistisch mit ihm zu auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz war es ein Songtext, der sich durch einen gewissen journalistischen Stil auszeichnete, der sie zusammenbrachte und für immer verbindet.
Mit ihrer unprätentiösen Art, ihrer Kultiviertheit, ihrem natürlichen Kleidungsstil und den langen Haaren entsprach Carly Simon in vielerlei Hinsicht dem Idealbild der Frau in den frühen 70ern. Sie war klug, geistreich und sehr talentiert, sie hatte eine klare, ausdrucksstarke Stimme und einen ganz eigenen Klavierstil entwickelt, vor allem aber schrieb sie überzeugende Lyrics, die einen auch von der Themenwahl her an Woody-Allen-Dialoge erinnerten: Affären, Täuschungen, sinnsuchende, eitle und neurotische Menschen, die zu reich und zu intelligent sind. Im tiefsten Inneren war sie nämlich eine Schriftstellerin, sie war tatsächlich eine wahrhaftige Journalistin, die sich überall Notizen machte und sich auf einer Party oder sonstwo jedes Detail einprägt. Sie war mit der Hautevolee und all dem Glamour aufgewachsen, hatte aber nicht aufgehört, sich über bestimmte Eigenarten und Verhaltensweisen zu wundern, die sie sehr genau beobachtete und in ihrem Gedächtnis speicherte. Nach einem Empfang der Crème de la Crème der New Yorker Opernliebhaber im Jahr 1972 schrieb sie den ersten Entwurf zu »The Ballad of a Vain Man« (eine Reminiszenz an Bob Dylans »The Ballad of a Thin Man« von 1965). Wie jedes herausragende literarische Werk brauchte der Song einen längeren Zeitraum, um sich zu entwickeln und zu reifen. »Der rote Faden, der sich durch alle drei Strophen zieht, ist dass der eitle Kerl lauter Dinge tut, mit denen er ungestraft davonkommt. Der Refrain – ›You’re so vain, you probably think this song is about you‹ – stand schon ein Jahr lang, bevor ich den Song tatsächlich komplett fertiggeschrieben hatte.«
Während eines Flugs von Los Angeles nach Palm Springs stieß sie auf die »clouds in my coffee«-Metapher, das einzige abstrakte Bildelement in »You’re so vain«. »Ich saß mit einem Freund im Flugzeug, und er genoss die Aussicht. Er wies mich darauf hin: ›Da sind Wolken in deinem Kaffee.‹ Ich schrieb mir tolle Sätze immer gleich auf, genau wie ein Journalist.« Alles andere an dem Song ist geradliniger, wenn auch gelegentlich ein adverblastiger Journalistenstil durchscheint. Doch wie eine gute Journalistin, gab sie ihre Quelle niemals preis. Und so wissen wir nicht, wer sie mit seinem apricotfarbenen Schal zum ersten Eintrag in ihrem Notizbuch inspiriert hat.
© Bob Gruen / www.bobgruen.com
Beim Jammen mit John Lennon und Yoko Ono in den New Yorker Record Plant Studios, 1972.
Während Carly Simon einen kreativen Höhenflug erlebte, ging es bei den Stones gerade völlig drunter und drüber. Als sich die Nordamerika-Tour dem Ende zuneigte, hatte Keith bereits mehrfach versucht, einen Entzug zu machen. Dass er sich überhaupt auf Heroin eingelassen hatte, erklärt er heute damit, dass die Stones irgendwann keinen unbeobachteten Schritt mehr machen konnten und nun quasi permanent im Scheinwerferlicht standen. Unter Dauerbeobachtung zu stehen war eine neue und zugleich sehr verstörende Erfahrung. Hinzu kam, dass Keith Richards von Anfang bis Mitte der 70er von einigen Schicksalsschlägen getroffen wurde. Alles keine guten Voraussetzungen, um seine Drogensucht in den Griff zu bekommen. Es war nicht so, dass er nicht genügend Zeit gehabt hätte,
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