Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
also jemand behauptet, Sie dort gesehen zu haben, lügt er?«
»Ja. Wer behauptet das? Ich habe nicht gegen die einstweilige Verfügung verstoßen. Sie …«
»Kennen Sie Mitchell Bondurant?«
»Ob ich ihn kenne? Nein. Ich weiß von ihm. Ich weiß, wer er ist. Aber kennen tue ich ihn nicht.«
»Haben Sie ihn heute gesehen?«
An dieser Stelle zögerte Trammel, und das war von Nachteil für sie. Auf dem Video war zu sehen, wie es in ihrem Kopf zu arbeiten begann. Sie überlegte, ob sie die Wahrheit sagen sollte. Ich beobachtete die Geschworenen. Ich sah nicht ein Gesicht, das nicht den Bildschirmen zugewandt war.
»Ja, ich habe ihn gesehen.«
»Aber sagten Sie nicht gerade, Sie wären nicht in der Nähe der WestLand gewesen?«
»War ich ja auch nicht. Hören Sie, ich weiß nicht, wer Ihnen erzählt hat, dass er mich vor der Bank gesehen hat. Und wenn es Bondurant war, lügt er. Ich war nicht dort. Ich habe ihn gesehen, das ja, aber das war in dem Coffee Shop, nicht in …«
»Warum haben Sie uns das nicht schon heute Morgen bei Ihnen zu Hause erzählt?«
»Wieso? Sie haben mich doch nicht danach gefragt.«
»Haben Sie sich heute Vormittag umgezogen?«
»Wie bitte?«
»Haben Sie sich heute Vormittag umgezogen, nachdem Sie wieder nach Hause gekommen sind?«
»Jetzt hören Sie aber mal, was soll das? Sie haben mich gebeten, mit Ihnen mitzukommen, aber jetzt wollen Sie mir plötzlich was andichten. Ich habe nicht gegen die Verfügung verstoßen. Ich …«
»Haben Sie Mitchell Bondurant angegriffen?«
»Was?«
Kurlen antwortete nicht. Er sah nur Trammel an, deren Mund sich zu einem perfekten O öffnete. Ich sah nach den Geschworenen. Alle blickten nach wie vor auf die Bildschirme. Ich hoffte, dass sie sahen, was ich sah. Aufrichtige Bestürzung im Gesicht meiner Mandantin.
»Ist das … Mitchell Bondurant wurde angegriffen? Wurde er verletzt?«
»Nicht nur das, er ist tot. Und an dieser Stelle möchte ich Sie auf Ihre verfassungsmäßigen Rechte hinweisen.«
Kurlen las Trammel die Miranda-Warnung vor, und Trammel sagte die magischen Worte, die schlauesten vier Wörter, die jemals aus ihrem Mund kommen sollten.
»Ich möchte meinen Anwalt.«
Das beendete die Einvernahme, und das Video schloss damit, dass Kurlen Trammel wegen Mordes verhaftete. Und damit beendete Freeman auch Kurlens Zeugenaussage. Sie überrumpelte mich, indem sie abrupt erklärte, mit dem Zeugen fertig zu sein, und sich setzte. Sie musste den Geschworenen nach wie vor die Durchsuchung des Hauses meiner Mandantin erörtern. Und den Hammer. Aber wie es aussah, würde sie dafür nicht auf Kurlen zurückgreifen.
Es war 11:45 Uhr, und der Richter setzte eine frühe Mittagspause an. Das verhalf mir zu einer Stunde und fünfzehn Minuten für meine letzten Vorbereitungen für Kurlens Kreuzverhör. Wieder einmal würden wir vor Gericht unser Tänzchen aufführen.
27
I ch trat mit zwei dicken Ordnern und meinem treuen Notizblock ans Pult. Die Akten waren für mein Kreuzverhör überflüssig, aber ich hoffte, sie gäben ein eindrucksvolles Requisit ab.
Ich ließ mir Zeit, alles auf dem Pult auszubreiten. Ich wollte Kurlen zappeln lassen. Mein Plan war, ihn genauso zu behandeln, wie er meine Mandantin behandelt hatte. Vor ihm hin und her zu hopsen und zu finten, mit der Linken zuzuschlagen, wenn er eine Rechte erwartete, einen Treffer zu landen und mich sofort wieder zurückzuziehen.
Es war ein geschickter Schachzug von Freeman gewesen, die Zeugenaussage auf die beiden Partner aufzuteilen. So bekam ich keine Chance, nur gegen Kurlen eine zusammenhängende Attacke wegen der Falldarstellung zu starten. Mit ihm musste ich mich jetzt herumschlagen, mit seiner Partnerin Longstreth erst viel später. Die Prozesschoreographie war eine von Freemans Stärken, und sie stellte das wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis.
»Wie sieht es aus, Mr. Haller?«, drängte der Richter.
»Gleich, Euer Ehren. Ich muss nur noch meine Notizen ordnen. Einen schönen guten Tag, Detective Kurlen. Ist es Ihnen recht, wenn wir zunächst noch einmal zum Tatort zurückkehren? Haben Sie …«
»Ganz wie Sie wollen.«
»Ja, danke. Wie lang waren Sie und Ihre Partnerin am Tatort, bevor Sie sich auf die Jagd auf Lisa Trammel gemacht haben?«
»Von einer Jagd würde ich hier nicht sprechen. Wir …«
»Ist das, weil sie keine Verdächtige war?«
»Das ist ein Grund.«
»Sie war nur eine Person von Interesse, wie Sie das nennen?«
»Richtig.«
»Also noch
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