Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
Umständen.«
Ich runzelte die Stirn.
»So weit zu gehen, bin ich noch nicht bereit.«
Sie nickte wissend.
»Hätte mich auch gewundert. Deshalb schlage ich vor, dass wir diesbezüglich behutsam vorgehen. Und zwar beide. Ich für meine Person hätte keine Hemmungen, zum Richter zu gehen, wenn ich das Gefühl habe, dass Sie den Geschworenenpool zu vergiften versuchen.«
»Das gilt umgekehrt genauso.«
»Gut. Dann wäre das schon einmal geklärt. Sonst noch etwas?«
»Wann kann ich damit rechnen, Akteneinsicht zu erhalten?«
Sie nahm einen langen Schluck von ihrem Kaffee, bevor sie antwortete.
»Sie wissen von früheren Fällen, wie ich das handhabe. Ich halte nichts von Ich zeige Ihnen meinen, wenn Sie mir Ihren zeigen. Das bleibt immer eine einseitige Angelegenheit, weil die Verteidigung grundsätzlich nichts herausrückt. Deshalb bin ich in diesem eher zurückhaltend.«
»Zu irgendeiner Einigung müssten wir aber schon kommen, Counselor.«
»Sie können ja mit dem Richter reden, sobald uns einer zugeteilt wird. Ich habe jedenfalls nicht vor, einer Mörderin entgegenzukommen, egal wer ihr Anwalt ist. Und nur damit Sie’s wissen: Ich bin Ihrem Spezi Kurlen bereits gewaltig auf die Zehen gestiegen, dass er Ihnen gestern diese Diskette gegeben hat. Das hätte er nicht tun dürfen, und er kann von Glück reden, dass ich ihn nicht von dem Fall abgezogen habe. Betrachten Sie das als ein Geschenk der Anklage. Aber es ist das Einzige, das Sie bekommen werden … Counselor.«
Es war die Antwort, mit der ich gerechnet hatte. Freeman war eine verdammt gute Staatsanwältin, aber in meinen Augen spielte sie nicht fair. Ein Prozess sollte ein beherzter Wettstreit von Fakten und Beweisen sein, bei dem sich beide Parteien gleichermaßen an das Recht und an die Spielregeln hielten. Aber die Spielregeln dazu zu benutzen, Fakten und Beweise zu verstecken oder zu verheimlichen, war bei Freeman an der Tagesordnung. Sie bevorzugte ein Spiel unter ungleichen Bedingungen. Was das anging, hielt sie nicht die Fackel hoch. Diese Fackel sah sie nicht einmal.
»Ich bitte Sie, Andrea. Die Polizei hat den Computer und sämtliche Unterlagen meiner Mandantin mitgenommen. Diese Sachen gehören alle ihr, und ich brauche sie, um sie vernünftig verteidigen zu können. Sie können das nicht wie Offenlegungsmaterial behandeln.«
Freeman verzog den Mund und tat so, als dächte sie tatsächlich über eine Kompromisslösung nach. Ich hätte es als die Show durchschauen sollen, die es war.
»Wissen Sie was«, sagte sie schließlich. »Sobald wir einem Richter zugeteilt worden sind, gehen Sie zu ihm und tragen ihm das vor. Wenn mir ein Richter sagt, ich soll es herausrücken, rücke ich alles heraus. Andernfalls betrachte ich es als meins und werde es nicht mit Ihnen teilen.«
»Vielen Dank.«
Sie lächelte.
»Keine Ursache.«
Ihre Reaktion auf meine Bitte um Kooperation und das damit einhergehende Lächeln bestärkten mich in einem Verdacht, der in mir herangereift war, seit ich erfahren hatte, dass sie den Fall zugeteilt bekommen hatte. Ich musste es irgendwie schaffen, dass Freeman die Fackel sah.
5
A m Nachmittag fand im Wohnzimmer von Lorna Taylors Eigentumswohnung in West Hollywood eine Vollversammlung von Michael Haller and Associates statt.
Anwesend waren – natürlich – Lorna und mein Ermittler Cisco Wojciechowski – es war auch sein Wohnzimmer – sowie Jennifer Aronson, die Juniorpartnerin der Kanzlei. Mir entging nicht, dass sich Aronson in diesem Ambiente unwohl fühlte, und ich muss zugeben, dass es tatsächlich etwas Unprofessionelles hatte. Als ich im vergangenen Jahr den Fall Jason Jessup übernahm, hatte ich vorübergehend ein Büro angemietet, und das hatte gut funktioniert. Ich wusste, dass es beim Trammel-Fall das Beste wäre, ein richtiges Büro zu haben und nicht nur das Wohnzimmer zweier Mitarbeiter zu nutzen. Das Problem war jedoch, dass damit weitere Kosten auf mich zukämen, die erst gedeckt wären, wenn vielleicht irgendwann aus den Film- und Buchrechten Geld einging – falls daraus überhaupt etwas wurde. Das hatte mich bisher zögern lassen, aber jetzt nahm mir Aronsons Enttäuschung die Entscheidung ab.
»Dann wollen wir mal«, sagte ich, nachdem Lorna allen Mineralwasser oder Eistee gebracht hatte. »Ich weiß, das ist nicht unbedingt die professionellste Art, eine Anwaltskanzlei zu führen, und wir werden uns so bald wie möglich nach geeigneten Räumlichkeiten umsehen müssen, aber bis
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