Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
aufrecht auf dem freien Platz direkt vor der Geschworenenbank. »Wir sind wegen der Wut einer einzigen Person hier. Wir sind hier wegen des Bedürfnisses einer einzigen Person, aus Frustration über ihr eigenes Versagen und Betrogenwerden wild um sich zu schlagen.«
Natürlich verwendete sie die meiste Zeit darauf, die Geschworenen vor den, wie sie es nannte, Vernebelungsversuchen der Verteidigung zu warnen. Voll und ganz von ihrer Falldarstellung überzeugt, versuchte sie, die meine zu entkräften.
»Die Verteidigung wird Ihnen alles Mögliche glaubhaft zu machen versuchen. Gigantische Verschwörungstheorien und verwickelte Handlungsstränge. Dieser Mord hat es in sich, aber seine Hintergründe sind ganz simpel. Lassen Sie sich nicht blenden. Sehen Sie genau hin. Hören Sie aufmerksam zu. Achten Sie darauf, dass alles, was heute hier behauptet wird, im Lauf des Prozesses mit Beweisen belegt wird. Mit richtigen Beweisen.
Diese Tat war sorgfältig geplant. Der Mörder kannte Mitchell Bondurants Gewohnheiten. Der Mörder lauerte Mitchell Bondurant auf und schritt dann rasch und mit äußerster Brutalität zur Tat. Dieser Mörder ist Lisa Trammel, und sie wird aufgrund dieses Prozesses ihrer gerechten Strafe überführt werden.«
Freeman richtete anklagend den Finger auf meine Mandantin. Lisa starrte unverwandt zurück. Genau so, wie ich ihr eingeschärft hatte.
Meine Aufmerksamkeit galt vor allem dem Geschworenen Nummer drei, der in der Mitte der vorderen Reihe der Geschworenenbank saß. Leander Lee Furlong jr. war mein Ass im Ärmel. Er war mein Mann, der Geschworene, von dem ich mir erhoffte, dass er bis zum Schluss unverbrüchlich in meinem Sinn stimmen würde. Selbst wenn die Jury deswegen zu keinem einhelligen Urteil käme.
Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Auswahl der Geschworenen hatte mir die Protokollführerin die Liste mit den ersten achtzig Kandidaten gegeben. Ich hatte die Liste an meinen Ermittler weitergegeben, der damit auf den Flur hinausging, seinen Laptop aufklappte und sich an die Arbeit machte.
Das Internet bietet viele Möglichkeiten, sich über die Hintergründe eines potenziellen Geschworenen zu informieren, vor allem dann, wenn es beim Prozess um eine Finanzangelegenheit wie eine Zwangsversteigerung geht. Jeder Kandidat musste einen Fragebogen ausfüllen und einige grundlegende Fragen beantworten: Waren Sie selbst oder ein unmittelbarer Familienangehöriger von einer Zwangsversteigerung betroffen? Wurde Ihnen jemals wegen Zahlungsunfähigkeit ein Auto wieder weggenommen? Haben Sie jemals Konkurs angemeldet? Diese Fragen dienten zum Ausmisten. Jeder, der eine von ihnen mit einem Ja beantwortete, wurde entweder vom Richter oder vom Staatsanwalt aussortiert. Jeder, der auf eine dieser Fragen mit einem Ja antwortete, wurde als befangen angesehen und somit als nicht in der Lage, die Beweise objektiv zu bewerten.
Dieses Ausmisten trug allerdings sehr allgemeine Züge, und es gab Grauzonen und einigen Platz zwischen den Zeilen. Hier kam Cisco ins Spiel. Bis der Richter die erste Zwölfergruppe potenzieller Geschworener aufgerufen und ihre Fragebögen durchgesehen hatte, kam Cisco bereits mit Hintergrundinformationen über siebzehn der insgesamt achtzig Kandidaten zu mir. Ich suchte nach Personen, die mit Banken oder Behörden schlechte Erfahrungen gemacht hatten und entsprechende Vorbehalte gegen sie hatten. Die siebzehn Kandidaten deckten die ganze Bandbreite ab. Das Spektrum reichte von Leuten, die auf ihren Fragebögen hinsichtlich eines Konkurses oder einer Autokonfiszierung falsche Angaben gemacht hatten, über Leute, die Zivilklagen gegen Banken führten, bis hin zu Leander Furlong.
Leander Lee Furlong jr., neunundzwanzig, war stellvertretender Marktleiter der Ralph’s-Filiale in Chatsworth. Er hatte die Frage nach einer Zwangsversteigerung mit nein beantwortet. Cisco war bei seinen digitalen Recherchen besonders gründlich vorgegangen und hatte nicht nur Internetseiten für Kalifornien, sondern auch für die ganzen USA abgefragt. Dabei stieß er auf eine Zwangsversteigerung 1994 in Nashville, Tennessee, bei der ein Leander Lee Furlong als Hauseigentümer eingetragen war. Als Antragsteller in dem Verfahren war die First National Bank of Tennessee angegeben.
Da der Name nicht sehr verbreitet schien, mussten die zwei Vorfälle etwas miteinander zu tun haben. Mein angehender Geschworener wäre zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung dreizehn Jahre alt gewesen. Ich ging davon aus, dass
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